Freitag, 15. Juli 2016

Tag 210 - Und noch ein "Islam-Experte" (wo sind eigentlich die Mensch-Experten?)






Gerne wird in letzter Zeit dieser Artikel geteilt und er verspricht "unerwünschte Offenbarungen"... mal sehen...


Und wieder ein „Islam-Experte“ der unsere „Flüchtlingspolitik“ kritisiert und Öl ins Feuer der Angst gießen möchte. Interessant wie die Gelehrten dieser Generation es in ihrem Alter immer noch schaffen, auf einen so schnellen Zug aufzuspringen. 

Bassam Tibi, der Erfinder der „Leitkultur“, (oder sollte ich sagen ihr „Entdecker“?) der aufgrund seiner eigenen Herkunft Zugang zu Bildung, Geld und der Möglichkeit hatte zu reisen und auszuwandern, ist ein Musterbeispiel der „Draufseher“, ein „Beobachter“ aus der Elitenperspektive, und er spricht ganz im Sinne althergebrachter arroganter Glaubenssätze, dass die Worte der „gelehrten Herren“ ungefragt Gültigkeit zu besitzen haben. 

„Die unerwünschte Offenbarung eines Deutschen Syrers“ 
titelt dieser Beitrag von „Audiatur Online“ und verspricht erfahrungsbedingte Erkenntnisse. Allerdings bleiben diese weitestgehend aus, lediglich spekulative Behauptungen bleiben hängen und diese werden allein aufgrund seines Titels zu einer diffusen Hintergrundwahrheit, ein Gedankenfilter der die Realität an das verängstigte Weltbild vieler anzupassen gedacht ist. Dabei dient der gleich zu Beginn eingestreute Hinweis, Bassam Tibi sei Schüler Adornos gewesen als Ankerpunkt der Schlüssigkeit, denn es muss ja etwas dran sein, wenn er unter einem derart großen Namen gelernt hat. Nun, das ist natürlich auch so nicht haltbar, denn er hat unter anderem bei Adorno und Horkheimer studiert, was aber nicht heißt, dass er „sein Schüler“ war. Auch ich habe beispielsweise schon Vorlesungen des Prof. Dr. Gerald Hüther besucht, bin deshalb aber noch lange nicht „sein Schüler“ gewesen.

Seine Behauptungen in diesem Artikel sind also nicht mehr als das, hier wird nichts detailliert hergeleitet oder begründet, sondern einfach nur gesagt. Allein die erste Behauptung ist schlichtweg falsch, wenn er sagt in Deutschland gäbe es nur Extreme, und „die Deutschen“ würden zwischen ihnen „pendeln“, als seien sie ein Volk ohne eigene Meinung, das sich rein emotional steuern lässt. Den Eindruck kann man zwar gewinnen, wenn ich mich auch ebenfalls als Teil Deutschlands bezeichnen möchte und viele meine Bekannten und Freunde ebenfalls, und in keiner Weise lässt sich diese Ansicht an meiner Erfahrung bestätigen. Allein die hergestellte, medial produzierte und präsentierte „öffentliche Meinung“, die Projektion der Gesellschaft in Funk und Fernsehen stellt ein derartiges Bild dar und es ist eine Tragödie, dass wir als Gesellschaft tatsächlich in extrem hohem Maße in unserer Sichtweise von diesen Medien beeinflusst werden. Das ist allerdings kein rein deutsches Phänomen, sondern ein menschliches. So wie unsere „öffentliche Meinung“ vorgefertigt verkauft wird, wird dieses Medium natürlich in allen Ländern zur Manipulation benutzt, in denen die Bevölkerung freien Zugang zu ihnen hat. Nicht umsonst bringt jede Regierung große Anstrengungen auf, vor allem die Rundfunk- und Fernsehanstalten unter ihre Kontrolle zu bringen, und selbst in den ärmsten Ländern wird darauf geachtet, dass annähernd jeder Zugang zu den Endgeräten hat. Umso erstaunlicher, dass der Kritiker dieses angeblichen Schwarz/Weiß Denkens selbst nicht differenzieren möchte und sich in eine Reihe mit den generalisierenden Anklägern stellt. Da können von mir aus zehn Doktortitel vor seinem Namen stehen, deren Bedeutung für seine Aussagen in diesem Zusammenhang sind gleich null.  Er sagt es selbst: er fällt ein Urteil über „die Deutschen“, ebenso wie über „die Araber“, und beruft sich dabei auf seine persönliche Erfahrung. Das ist natürlich an Anmaßung nicht zu übertreffen und vollkommen uninteressant für eine Lösungsorientierte Herangehensweise an Problematiken, die im Grunde alle Menschen betreffen. Aber hier kommt eben dieser bereits angesprochene, imaginäre Obrigkeitsanspruch einer Generation „gelehrter Herren“ zum Vorschein. Da hilft es auch nicht weiter, dass er sich hinter großen Namen und Zitaten versteckt, bzw. versucht durch auswendig gelerntes Eindruck zu schinden. 

Es ist in dem gesamten Artikel, wie übrigens in vielen „Gelehrtenmeinungen“ zur aktuellen Situation, nicht ein Ansatz zu erkennen, wie die Problematik entstanden sein könnte, bzw. welche Wege diese Problemgrundlagen beseitigen würden Es ist ein fatalistischer Grundsatz in solchen Kreisen, der von einer arroganten Selbstüberschätzung ausgeht, die das Ego zum Urteile fällenden Beobachter macht, weil es sich als fähiger ansieht als alle anderen Menschen. Tatsache ist, dass die Fähigkeit den Menschen und damit auch die Zusammenhänge der Reaktionen, des Verhaltens, der Ignoranz und des Egoismus zu verstehen jedem Einzelnen zugänglich ist, nämlich in der selbstehrlichen Selbstschau. Doch dieser Ansatz grenzt vor allem in sogenannten Gelehrten Kreisen an Blasphemie und wird entweder verunglimpft oder eben durch Ausschluss mit aller Härte bekämpft.  Wie auch immer, der Schein einer Expertenmeinung mit Offenbarungscharakter der im Titel laut angekündigt wird, verblasst bereits nach dem aufmerksamen Lesen des ersten Absatzes. 

Nun, ich gehe nicht davon aus, dass dieser Artikel das tatsächliche Potential des Herrn Tibi auch nur annähernd wiedergibt, jedoch lässt er sich (wahrscheinlich) aus Gründen der Selbstverliebtheit hier gerne vor den Karren spannen, um das altbewährte mediale Spiel des „divide & conquer“ Publikumswirksam weiter voranzutreiben. Dafür ist sich ja auch sonst kaum jemand zu schade. Schade ist nur, dass wir gerade auch durch solche Artikel genau diejenigen gesellschaftlichen Charakteristiken verstärken und ausprägen, die Herr Tibi hier zu kritisieren meint.

Zu den „störenden Flüchtlingen“ in der Göttinger Innenstadt, von denen Herr Tibi hier spricht:
Ich kenne Göttingen sehr gut, habe lange dort gelebt und ich kenne auch die elitäre Bildungs- und Öko- Schickeria, die dort immer noch den Anspruch erhebt, die Innenstadt zu „besitzen“ und schon seit ewigen Jahren Festlichkeiten und Veranstaltungen boykottiert, weil sie sich in ihrem ruhigen Altstadtleben gestört fühlt. Dass diese sich nun auch durch „Flüchtlinge“, also durch noch mehr Menschen noch erheblicher gestört fühlen ist wenig verwunderlich und kann diesen wohl kaum allein zum Vorwurf gemacht werden, ist aber vor allen Dingen kein Maßstab. Noch dazu, dass Göttingen eine Universitäts- und Studentenstadt ist, sich ziemlich etwas auf diese Universität einbildet (Elite-Uni…) und mit dieser Doppelmoral einerseits jung und lebendig wirken zu wollen, aber andererseits durch einen konservativen Geldadel ständig getadelt zu werden schon seit je her zu kämpfen hat.

Wie dem auch sei, ich lasse mich selbstverständlich nicht mit in die Urteile des Herrn Tibi einbeziehen, weder wenn er über „die Deutschen“ noch wenn er über „die Araber“ und deren antisemitische Kultur spricht. Schon gar nicht, und da sehe ich mich persönlich als tragender Teil einer Deutschen Kultur, übernehme, borge oder assimiliere ich eine Sichtweise eines anderen, und vor allem dann nicht, wenn dieser jemand sich auf Grund seiner Graduierung zur Urteilsfällung berufen fühlt. Ich kultiviere Deutschtum dadurch, dass ich meinen Verstand, mein Wissen und meine Fähigkeiten der Ursachenfindung eigenständig und möglichst unbeeinflusst schule, mich nicht in einem Urteil schlussfolgernd festlege und immer möglichst die eigene Beteiligung und vor allem auch die möglichen Konsequenzen meines Wirkens langfristig mit einbeziehe. Darin sehe ich die Verantwortung des Menschen an sich, die Verantwortung gegenüber dem leben, unseren Kindern und deren zukünftiger Lebenswelt.

~ BeastIan

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