Freitag, 15. Juli 2016

Tag 210 - Und noch ein "Islam-Experte" (wo sind eigentlich die Mensch-Experten?)






Gerne wird in letzter Zeit dieser Artikel geteilt und er verspricht "unerwünschte Offenbarungen"... mal sehen...


Und wieder ein „Islam-Experte“ der unsere „Flüchtlingspolitik“ kritisiert und Öl ins Feuer der Angst gießen möchte. Interessant wie die Gelehrten dieser Generation es in ihrem Alter immer noch schaffen, auf einen so schnellen Zug aufzuspringen. 

Bassam Tibi, der Erfinder der „Leitkultur“, (oder sollte ich sagen ihr „Entdecker“?) der aufgrund seiner eigenen Herkunft Zugang zu Bildung, Geld und der Möglichkeit hatte zu reisen und auszuwandern, ist ein Musterbeispiel der „Draufseher“, ein „Beobachter“ aus der Elitenperspektive, und er spricht ganz im Sinne althergebrachter arroganter Glaubenssätze, dass die Worte der „gelehrten Herren“ ungefragt Gültigkeit zu besitzen haben. 

„Die unerwünschte Offenbarung eines Deutschen Syrers“ 
titelt dieser Beitrag von „Audiatur Online“ und verspricht erfahrungsbedingte Erkenntnisse. Allerdings bleiben diese weitestgehend aus, lediglich spekulative Behauptungen bleiben hängen und diese werden allein aufgrund seines Titels zu einer diffusen Hintergrundwahrheit, ein Gedankenfilter der die Realität an das verängstigte Weltbild vieler anzupassen gedacht ist. Dabei dient der gleich zu Beginn eingestreute Hinweis, Bassam Tibi sei Schüler Adornos gewesen als Ankerpunkt der Schlüssigkeit, denn es muss ja etwas dran sein, wenn er unter einem derart großen Namen gelernt hat. Nun, das ist natürlich auch so nicht haltbar, denn er hat unter anderem bei Adorno und Horkheimer studiert, was aber nicht heißt, dass er „sein Schüler“ war. Auch ich habe beispielsweise schon Vorlesungen des Prof. Dr. Gerald Hüther besucht, bin deshalb aber noch lange nicht „sein Schüler“ gewesen.

Seine Behauptungen in diesem Artikel sind also nicht mehr als das, hier wird nichts detailliert hergeleitet oder begründet, sondern einfach nur gesagt. Allein die erste Behauptung ist schlichtweg falsch, wenn er sagt in Deutschland gäbe es nur Extreme, und „die Deutschen“ würden zwischen ihnen „pendeln“, als seien sie ein Volk ohne eigene Meinung, das sich rein emotional steuern lässt. Den Eindruck kann man zwar gewinnen, wenn ich mich auch ebenfalls als Teil Deutschlands bezeichnen möchte und viele meine Bekannten und Freunde ebenfalls, und in keiner Weise lässt sich diese Ansicht an meiner Erfahrung bestätigen. Allein die hergestellte, medial produzierte und präsentierte „öffentliche Meinung“, die Projektion der Gesellschaft in Funk und Fernsehen stellt ein derartiges Bild dar und es ist eine Tragödie, dass wir als Gesellschaft tatsächlich in extrem hohem Maße in unserer Sichtweise von diesen Medien beeinflusst werden. Das ist allerdings kein rein deutsches Phänomen, sondern ein menschliches. So wie unsere „öffentliche Meinung“ vorgefertigt verkauft wird, wird dieses Medium natürlich in allen Ländern zur Manipulation benutzt, in denen die Bevölkerung freien Zugang zu ihnen hat. Nicht umsonst bringt jede Regierung große Anstrengungen auf, vor allem die Rundfunk- und Fernsehanstalten unter ihre Kontrolle zu bringen, und selbst in den ärmsten Ländern wird darauf geachtet, dass annähernd jeder Zugang zu den Endgeräten hat. Umso erstaunlicher, dass der Kritiker dieses angeblichen Schwarz/Weiß Denkens selbst nicht differenzieren möchte und sich in eine Reihe mit den generalisierenden Anklägern stellt. Da können von mir aus zehn Doktortitel vor seinem Namen stehen, deren Bedeutung für seine Aussagen in diesem Zusammenhang sind gleich null.  Er sagt es selbst: er fällt ein Urteil über „die Deutschen“, ebenso wie über „die Araber“, und beruft sich dabei auf seine persönliche Erfahrung. Das ist natürlich an Anmaßung nicht zu übertreffen und vollkommen uninteressant für eine Lösungsorientierte Herangehensweise an Problematiken, die im Grunde alle Menschen betreffen. Aber hier kommt eben dieser bereits angesprochene, imaginäre Obrigkeitsanspruch einer Generation „gelehrter Herren“ zum Vorschein. Da hilft es auch nicht weiter, dass er sich hinter großen Namen und Zitaten versteckt, bzw. versucht durch auswendig gelerntes Eindruck zu schinden. 

Es ist in dem gesamten Artikel, wie übrigens in vielen „Gelehrtenmeinungen“ zur aktuellen Situation, nicht ein Ansatz zu erkennen, wie die Problematik entstanden sein könnte, bzw. welche Wege diese Problemgrundlagen beseitigen würden Es ist ein fatalistischer Grundsatz in solchen Kreisen, der von einer arroganten Selbstüberschätzung ausgeht, die das Ego zum Urteile fällenden Beobachter macht, weil es sich als fähiger ansieht als alle anderen Menschen. Tatsache ist, dass die Fähigkeit den Menschen und damit auch die Zusammenhänge der Reaktionen, des Verhaltens, der Ignoranz und des Egoismus zu verstehen jedem Einzelnen zugänglich ist, nämlich in der selbstehrlichen Selbstschau. Doch dieser Ansatz grenzt vor allem in sogenannten Gelehrten Kreisen an Blasphemie und wird entweder verunglimpft oder eben durch Ausschluss mit aller Härte bekämpft.  Wie auch immer, der Schein einer Expertenmeinung mit Offenbarungscharakter der im Titel laut angekündigt wird, verblasst bereits nach dem aufmerksamen Lesen des ersten Absatzes. 

Nun, ich gehe nicht davon aus, dass dieser Artikel das tatsächliche Potential des Herrn Tibi auch nur annähernd wiedergibt, jedoch lässt er sich (wahrscheinlich) aus Gründen der Selbstverliebtheit hier gerne vor den Karren spannen, um das altbewährte mediale Spiel des „divide & conquer“ Publikumswirksam weiter voranzutreiben. Dafür ist sich ja auch sonst kaum jemand zu schade. Schade ist nur, dass wir gerade auch durch solche Artikel genau diejenigen gesellschaftlichen Charakteristiken verstärken und ausprägen, die Herr Tibi hier zu kritisieren meint.

Zu den „störenden Flüchtlingen“ in der Göttinger Innenstadt, von denen Herr Tibi hier spricht:
Ich kenne Göttingen sehr gut, habe lange dort gelebt und ich kenne auch die elitäre Bildungs- und Öko- Schickeria, die dort immer noch den Anspruch erhebt, die Innenstadt zu „besitzen“ und schon seit ewigen Jahren Festlichkeiten und Veranstaltungen boykottiert, weil sie sich in ihrem ruhigen Altstadtleben gestört fühlt. Dass diese sich nun auch durch „Flüchtlinge“, also durch noch mehr Menschen noch erheblicher gestört fühlen ist wenig verwunderlich und kann diesen wohl kaum allein zum Vorwurf gemacht werden, ist aber vor allen Dingen kein Maßstab. Noch dazu, dass Göttingen eine Universitäts- und Studentenstadt ist, sich ziemlich etwas auf diese Universität einbildet (Elite-Uni…) und mit dieser Doppelmoral einerseits jung und lebendig wirken zu wollen, aber andererseits durch einen konservativen Geldadel ständig getadelt zu werden schon seit je her zu kämpfen hat.

Wie dem auch sei, ich lasse mich selbstverständlich nicht mit in die Urteile des Herrn Tibi einbeziehen, weder wenn er über „die Deutschen“ noch wenn er über „die Araber“ und deren antisemitische Kultur spricht. Schon gar nicht, und da sehe ich mich persönlich als tragender Teil einer Deutschen Kultur, übernehme, borge oder assimiliere ich eine Sichtweise eines anderen, und vor allem dann nicht, wenn dieser jemand sich auf Grund seiner Graduierung zur Urteilsfällung berufen fühlt. Ich kultiviere Deutschtum dadurch, dass ich meinen Verstand, mein Wissen und meine Fähigkeiten der Ursachenfindung eigenständig und möglichst unbeeinflusst schule, mich nicht in einem Urteil schlussfolgernd festlege und immer möglichst die eigene Beteiligung und vor allem auch die möglichen Konsequenzen meines Wirkens langfristig mit einbeziehe. Darin sehe ich die Verantwortung des Menschen an sich, die Verantwortung gegenüber dem leben, unseren Kindern und deren zukünftiger Lebenswelt.

~ BeastIan

Donnerstag, 14. Juli 2016

Tag 209 - 'Kings & Queens' - Wahre Herrschaft #1





„Leben wie ein König“ / "Leben wie die Könige"

Eine weit verbreitete Aussage, meist im Zusammenhang mit der Vorstellung eines Lebens im Überfluss, in zurücklehnender Bequemlichkeit oder überschwänglicher Konsumgier. Doch was steckt wirklich hinter dem Wunsch zu „herrschen“, Macht zu besitzen und zu bestimmen? Es ist der Wunsch die Zügel für das eigene Leben, die eigenen Geschicke tatsächlich wieder in den Händen zu halten. Sich selbstbestimmt zu entwickeln und im Leben zu bewegen. Da wir das völlig verlernt haben, da wir in unserem Selbstwert durch die Verlagerung desselben in imaginäre Images und konsumabhängige Waren zutiefst verunsichert sind, halten wir Herrschen für etwas, das andere über uns tun, oder aber das wir über andere tun müssten. Dieser pervertierte Gedanke der Machtausübung ist eines der größten Hemmnisse tatsächlicher Entwicklung und eine Sabotage des menschlichen Potentials. Herrschen, Be-herrschen und alleinige Macht gibt es nur über dich, bzw. dein Selbst. Und genau da beginnt der Königsweg.

Leben wie die Könige bedeute eben nicht, wie es seit jeher in den Büchern und Geschichten, bzw. den Geschichtsbüchern beschrieben wird ein Leben in Völlerei und habgieriger Grausamkeit. Es bedeute auch nicht Ein König als Herrscher über das Volk, nicht Despot, Monarch oder Diktator. Ein Leben wie die Könige gibt es nur unter Königen und Königinnen, unter gleichgestellten Herrschern. Wie soll man die Gesellschaft derer genießen die man in wahnkranker Selbstverliebtheit missachtet? Die Perfektionierung gestalterischer Herrschaft muss Gleichstellung anstreben, einen Ausgleich und eine gemeinschaftliche Anstrengung. Der Drang selbst zu herrschen und die Geschicke zu bestimmen, als ein einzelner Teil vom Ganzen, kann nur sabotierende Wirkung auf die Möglichkeiten der potentiellen, eigenverantwortlich getragenen Entwicklung einer Gesellschaft oder Gemeinschaft haben. Ganz davon abgesehen, dass eine solche Position allein durch gewaltsame, räuberische Unterdrückung und Ausbeutung errichtet und gehalten werden kann.

Die eigentliche Macht als Mensch richtet sich letztendlich immer auf dich selbst und mündet konsequent in das Leben eines Verantwortung tragenden, in sich selbst ruhenden Menschen, der sich nicht beherrschen lässt und über nichts anderes herrschen will als sein eigenes Selbst. Und wer sich der eigene König und die eigene Königin ist achtet, ehrt und respektiert sich selbst ausschließlich angesichts seiner Taten, worin sie gründen und wohin sie führen. Darin ist er unantastbar, weder zu verurteilen noch sich selbst verurteilend, unbestechlich und sicher. Einen sich selbst bestimmenden, lenkenden und beobachtenden Menschen kann man nur in seiner eigenen Sprache, mit gleichgestellten Mitteln derart beeindrucken, dass er beeinflusst, bzw. bereichert wird. Und dieser Eindruck kann nur gelebt vermittelt werden, als das Beispiel, das hier und jetzt der Fall ist.
Seine eigene Natur in dieser Weise zu schulen, zu kultivieren,  an die Prinzipien des tatsächlichen Lebens und all seiner bedingten Abhängigkeiten anzugleichen und die eingeschlagenen Wege an den Prinzipien der einheitlichen Entwicklung eines Ganzen zum Wohl aller auszurichten, das ist die schöpferische Kraft die das gesamte Potential des Menschen abverlangt und ihn wahrhaft lebendig und stark macht. Es gibt nichts erbärmlicheres als einen Sklaven seines fremdbestimmt emotionalen Körpers und jeder Versuch der Rechtfertigung solch reaktionärer Bequemlichkeitsmuster verlagert die eigene Existent mehr und mehr in die imaginäre Welt der Gedanken, während die körperliche Existenz zu einem Instrument des Systems verkümmert.

Ein Volk von Königen und Königinnen, das ist das zivilisatorische Ziel, das dem Menschen und seinem Potential würdig ist. Was wir bisher verfolgt haben und immer noch mit einem rückwärts gerichteten Blick in die Zukunft als unseren Weg akzeptieren ist das genaue Gegenteil davon. Es ist der krankhaft sehnsuchtsvolle Wunsch nach Führung, nach externalisierter Schuld und damit auch der Auslagerung jeder Eigenverantwortung, nach Regulation und gewaltsamer Ordnungserhaltung. Es ist ein in einem programmierten Identitätsverlust gründender Wunsch nach gefühlter Sicherheit, die wir im Grunde nur uns selbst geben können.
Man könnte das Ganze auch andersherum beschreiben, indem man sagt ein Leben wie die Könige kann es nur ohne Könige geben. Allerdings wirkt dieser Gedanke im derzeitigen Angst-Zustand, in einer vollkommen menschen- und lebensfeindlichen Weltordnung, einem heuchlerischen Wertesystem und der permanent angetriebenen Flucht vor dem Selbst und seiner Verantwortlichkeit vielmehr Angstverstärkend als einladend.
Richtiger wäre diese Herangehensweise dennoch, denn im Sinne einer Entwicklung gesellschaftlichen Zusammenlebens zum Vorteil aller kann das Herrschen nicht in der herkömmlichen Weise verstanden werden. Das Herrschen wird vielmehr zum Beherrschen im Sinne einer Fertigkeit, sowohl im Umgang mit sich selbst, als naturgegeben auch im Umgang mit den anderen. Dieses „sich selbst beherrschen“ lässt vor allem aber auch keine andere Einsicht zu, als dass das Verstehen seines eigenen Selbst immer in Abhängigkeit zu den anderen und in Interaktion mit ihnen stattfindet, ob rein gedanklich oder auch körperlich, (wobei das Erstere nur bedingt durch die Erfahrung des physischen Erfassens möglich ist), und dass sich genau darin alle gleichen. Anderenfalls wäre überhaupt keine Art der sinngebenden Verständigung möglich.

Es ist und muss jeder Versuch der persönlichen Ausgrenzung durch eine Annahme der eigenen Erhabenheit motiviert sein und ist damit ein gewaltsamer Akt zum Schaden des Ganzen, und damit natürlich auch zum Schaden des betreffenden Individuums selbst. Das öffentliche Jammern, das selbstmitleidige Fingerzeigen, ist ein heute allgegenwärtiges Symptom einer feigen Selbstaufgabe und des Versuches, sich in scheinlogischen, abstrakten Gedankenwelten eine neue, im Vergleich zur wahren Natur lächerlich anmutenden Lebens- und Identitätsgrundlage anzueignen. Ein billiger Ersatz ohne Gehalt, ohne solide Beständigkeit, Gedanken und Worte ohne jegliche Bedeutung. Daher sind alle Debatten, jede politische Wendung innerhalb dieser Strukturen lediglich Ablenkungen, Beschäftigung für den Verstand, damit er sich nicht selbst in seiner erbärmlichen, geduckten, beschnittenen Position erblickt, erkennt und traumatisiert.

Wo sind die Individualisten in unserer Welt? Woher nehmen sie ihre Meinungen, ihr Erscheinungsbild, ihre Werte des Anstands, der Moral und der Ethik? Sie übernehmen sie, sie akzeptieren vorgegebene Nischen, niemand stellt sich gegen den allgemeinen Strom. Im Gegenteil, sie suchen nach Mit-treibenden, um sich ihnen anzuschließen, sie möchten sich nicht selbst rechtfertigen, sondern kopieren zirkelschlüssige Argumentationsketten unter völliger Ignoranz ihrer eigenen Wahrnehmungsfähigkeit. Angst, und aus Angst geborener Hass, projizierte Wut die durch den gerichteten Finger wie durch einen Blitzableiter auf Feindbilder gelenkt wird veranlassen sie zu permanenter Bestätigungssuche. Spaltung, Unsicherheit, ängstliche Verhaltenheit, Misstrauen und Missgunst sind das Ergebnis und sie schaffen so eine hervorragend lenkbare Masse, ein Volk nutzbar gemacht als Ressource eines alles verdauenden Konsumsystems.

Es gibt keine wahren Individuen mehr. Diese würden hervorstechen, nicht in ihrer Rücksichtslosigkeit, in ihrem zwanghaften Versuch zu glänzen, sich mit den geborgten Werten zu schmücken um falsche Anerkennung einzuheimsen. Sie würden durch ihr Brennen für das Leben, ihren hingebungsvollen Einsatz für die Bereicherung der Gemeinschaft leuchtend hervortreten. Sie würden sich vor sich selbst rechtfertigen können und vor jeder Anklage für sich selbst geradestehen. Sie würden ihre erlernten Fähigkeiten nicht verbergen, sie nicht mystifizieren um sich Vorteile zu verschaffen, sondern offen und vollkommen transparent ein Beispiel geben, wie jeder Einzelne sich selbst zum Leben verhelfen, sich selbst als gleichwertiger Teil einbringen und als solcher teilhaben kann. 

Wir leben als Sklaven unserer eigenen Schöpfung, mehr denn je. Und der einzige Grund ist der Unwille, uns unseren Ängsten zu stellen, anstatt sie zu verdrängen und irgendwelchen Machtapparaten und Institutionen imaginär die Verantwortung zu überlassen.

Freitag, 8. Juli 2016

Tag 208 - Anabel Schunke: "Ihr nehmt mir meine Heimat" - Ich nehme dir dein Selbstmitleid



Dies ist ein mir am Herzen liegender Kommentar zu folgendem online Artikel und der Verfasserin Anabel Schunke:


http://www.rolandtichy.de/meinungen/ihr-nehmt-mir-meine-heimat/

Wenn mir eins gehörig auf die Nerven geht, dieser Tage, dann die unsäglichen Aussagen der plötzlich auf dem Deutsch-nationalen-Identitätsfindungstrip verrannten Bequemlichkeitsnörgler, die offenbar das Jammervokabluar der sich in der imaginären Abgrenzung zu „Ausländern“ neu definierten Deutsch-Stämmigkeit befindlichen Medialen Hetze auswendig gelernt und sich in dieser Gruppierung, der in dauernden Wiederholungsschleifen von Kultur und Deutschen Werten faselnden Mantra Sänger aufgehoben fühlen. Das ist sehr wohl religiös anmutend, so wie jeder medial losgetretene Trend. Und auch dieser wurde medial aufgekocht, denn die sogenannte „Lügenpresse“, welche diesen Titel durchaus verdient, allerdings aus ganz anderen Gründen als es die Pegidisten, Afd’ler und Anhänger ähnlicher Gruppierungen durchschaut zu haben glauben, arbeitet natürlich mit wesentlich subtileren und vielschichtigeren Methoden als, und diese Unterstellung wage ich durchaus zu halten, die meisten der neuen Verteidiger des Wortes „Kultur“ zu analysieren in der Lage sind, zumal es noch nicht einen Artikel gab, durch den ich mich gequält habe, in dem allein der Begriff „Deutscher Kultur“ oder „Deutscher Werte“ von den Propagandisten annähernd definiert wurde.

So ist auch dieser Beispielartikel mit Mustergültigkeit, der den Titel „Tichys Einblick“ der liberal konservativen Meinungsseite trägt, lediglich eine Draufsicht ohne erkenntnisfähige Analysefunktion.

Aber noch viel mehr als das, ist er eine Beschreibung der Indentitäts-basierten Unsicherheit einer Gesellschaft, die sich von den Medien berieselt seit ungewisser Zeit in einem schlaftrunkenen Zustand der imaginären Konsumidentifikation befindet, und nun in einem schreckhaften Erwachen die Unwirklichkeit ihrer bisherigen Gefühlswelt erkennt. Und genau in diesem Moment bieten alle Bildschirme ein hervorragendes, fast märchenhaftes Feindbild, einen Blitzableiter der emotionalen Schreckreaktion die anderenfalls zu einem Erwachen zum Selbst führen könnte, um diese Menschen für die eigenen Geschicke der System-Maschinerie zu lenken:
den Immigranten.
 
Da sich gerade die nun in wertender Abgrenzung befindlichen gefühls-Deutschen ungerecht kategorisiert fühlen, wenn man ihnen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus unterstellt, nehme ich gleich hier den verunglimpfenden Gegenargumenten den Wind aus den Segeln, dass es sich hier um das Geschwafel eines „linksversifften Gutmenschen“ handeln würde:
Zunächst handelt es sich bei ausnahmslos jeder fremdenfeindlichen Äußerung nur um eine Symptombeschreibung, denn im Grunde sind es aus FremdenAngst geborene Meinungsmuster und die feindselige Einstellung resultiert aus der psychologisch eindeutig herleitbaren Schutzreaktion, welche eben aus der Angst geboren wird, die wiederum immer in Unverständnis gründet. Weiterhin stelle ich keineswegs die begründeten Sorgen angesichts der Probleme die in unserer Gesellschaft und dem von uns getragenen System eine unkontrollierte Zuwanderung verursacht in Frage. Im Gegenteil, ich unterstreiche sogar die Wichtigkeit der offenen, aufrichtigen Betrachtung dieser Phänomene, vor allem aber die Notwendigkeit ihrer ehrlichen Analyse. Diese Analyse ist allerdings nicht aus dem Kontext einer über Generationen andauernden Entwicklung zu lösen und genau hier liegt eben der infantile Denkfehler, bzw. die naive Ignoranz derer, die sich nun beschweren, die nun ihre Finger gegen Politiker und gegen die moralische Verwerflichkeit fremder kultureller Werte erheben. Denn die Probleme die nun aus einer diffusen Deutschen Identität heraus abgeurteilt werden, wurden bereits hundertfach von eigenständig denkenden Systemkritikern aufgezeigt und über die Jahre mehrfach öffentlich hervorgehoben, vorausgeahnt und vor allem mit Lösungsvorschlägen für einen ernsthaften Weg der Veränderung, der Prävention und im Sinne einer zukunftsorientierten Wandlung der Gemeinschaft behandelt.

Es gibt in keinem Bereich nur Schwarz oder Weiß, es sind die Meinungen natürlich im Einzelfall zu betrachten. Allerdings entsteht nicht zuletzt durch die mediale Beeinflussung ein öffentliches Bild, welches gerade zu diesem Thema die gern angenommene Abkürzung, den schnellen, leichten Weg zur Lösung einer vielschichtigen Problematik anbietet. Und dagegen gehe ich entschieden vor, vor allem dann, wenn diese Scheinlogik mit einer dreisten Lüge offen eingeleitet wird. Und diese Lüge ist, dass die Konsequenz der Ursache zugrunde läge. Die Immigranten, Flüchtlinge und die, welche sich nur bereichern wollen sind eine Tatsache, sie sind als gesellschaftliche Phänomene „der Fall“. Das ist unbestritten. Dass sie allerdings die Ursache unserer gesamtgesellschaftlichen Probleme und ihre Beseitigung im Umkehrschluss die Lösung eben dieser bedeuten würde, könnte von der Wahrheit kaum weiter entfernt liegen.

Unser Bewusstsein, darauf getrimmt schnelle Bedürfnisbefriedigung und eine gedankliche Sicherheit zu erreichen, nimmt über die Schnittstelle der Angst gerne eine allgemein als gültig akzeptierte Sichtweise an, denn sie bewahrt vor der Anstrengung der Entwicklung eines selbst-ehrlichen, persönlichen Standpunktes und verknüpft gleichzeitig die Vermeidung der Angst des „alleine Stehens“. Was hier zu vermeiden gesucht wird, sind im Übrigen genau solche Attribute, welche es dann argumentativ als „Werte“ einer Nation stolzer, mündiger Bürger zu verteidigen gilt. Hier liegt schon ein Knotenpunkt des Selbstbetrugs vor, ein paradoxer Fehlschluss, der die Meinung zu einem dogmatischen Glaubenssatz verkümmern lässt. Natürlich kann sich auch hier jeder Einzelne, der sich vielleicht angesprochen fühlt, leicht herausreden. Aber es geht mir nicht darum, zu überzeugen, sondern lediglich Denkanstöße zu geben, da ich aus eigener Erfahrung genau weiß, dass jedem Einzelnen die Unwahrheiten und Fehlinterpretationen, sowie ihre Gründe und Ursachen, durchaus bekannt sind, wenn sie auch oft sehr unterschwellig gehalten und zwanghaft ignoriert werden.

So wird beispielsweise in der Jammerschrift „Ihr nehmt mir meine Heimat“ dieses Artikels vom Stolz der Anabel Schunke gesprochen, den sie immer empfunden habe, Deutsche zu sein. Anabel Schunke ist Model und studiert Politikwissenschaft und Geschichte, ist somit sehr in die westliche Wertewelt integriert, indem sie ihre Erscheinung vermarktet, sich über die Medien verkauft und damit ihren Wohlstand, ihre Bildung und alle Errungenschaften westlicher Wertestrukturen sichert. Kulturell ist ein solcher Lebensweg nicht eindeutig einer Landeskultur zuzuordnen, damit auch nicht abgrenzbar, jedenfalls nicht eindeutig. Die Werte um die es hier geht sind jedenfalls allein in dieser Bio nicht als rein „Deutsche“ erkennbar. Sie erstellt Fotostrecken mit politischer Aussage, die, und da nehme ich Bezug auf die in diesem Artikel verknüpften Fotos, eindeutig sein können, allerdings keineswegs besonders Tiefsinnig durchdacht erscheinen, sondern eher wie platte Stammtischparolen anmuten. Das Bild einer Familie, bzw. dreier Frauen mit Kindern, von denen zwei Frauen Kopftücher tragen in Verbindung mit dem Titel „Ihr nehmt mir meine Heimat“ ist jedenfalls an banalem Populismus kaum zu übertreffen. Auf derselben Schiene allerdings, die ich bereits ausführlich weiter oben beschrieben habe, geht es den gesamten Artikel hindurch weiter. Es ist nicht ein einziger Aussagesatz dabei, der einer Verstandesbasierten Prüfung an der Wirklichkeit standhalten würde, wobei die meisten ohnehin für eine Analyse nicht geeignet sind, da ihnen der relevante, greifbare Inhalt fehlt.

Nehmen wir nur einmal diesen:
„Grüne, warum immer gegen Deutsche?“

Zunächst einmal sind „die Grünen“ ja auch Deutsche, also werden sie sicher nicht „gegen Deutsche“ Politik machen. Doch ist mangels einer genaueren Definition des „Deutschen“ und was ihn, außer seiner Geburtsstätte, ausmacht, erstens die Frage eine leere, und auch die Erörterung dieser Position kann nur ins Nichts führen, es sei denn, man versucht zwischen den Zeilen zu lesen, was natürlich Fehlinterpretationen nicht ausschließt. Das aber, und das ist mein Standpunkt, ist auch genau die Absicht solcher Parolen. Denn das lässt natürlich endlos freien Raum sich aus den eigenen Aussagen herausreden zu können, sollte man auf Denkfehler hingewiesen werden.

Dass die Politik im Allgemeinen, bestimmt und gelenkt von Wirtschaftsinteressen, für die Menschenleben und auch die Menschlichkeit keinerlei Wert haben oder eine Rolle spielen, gegen die Interessen von Menschen gerichtet ist, ist keine Frage mehr in der heutigen Zeit. Dass sie aber gegen eine diffuse Begrifflichkeit „der Deutschen“ gerichtet sei, den man selbst nicht definieren kann oder will, ist nichts weiter als eine haltlose Behauptung.

Die Bezugspunkte der Identifizierung, von denen sie weiter schreibt sind ebenfalls in keiner Weise dargestellt oder definiert, schon gar nicht als allgemeingültig für alle „Deutschen“, auch für die Deutschen beispielsweise, die keinerlei Angst vor kultureller Überfremdung haben und ihre Identität eben nicht nach vorgegebenen Normen richten, sondern nach dem Mensch-Sein, dem selbstbestimmten Denken und der eigenständigen Einsicht. Und genau da ist wieder der Fehlschluss, dass es eine Rechtsnorm geben müsse, nach der sich die eigene Identität richtet. Und genau diese Einstellung geht einhundert Prozent gegen das, was die Kultur und die Identität eines Volkes ausmacht, wahrhaftig von Wert ist und die Mündigkeit und Eigenständigkeit eines Volkes repräsentiert: nämlich freie Selbstbestimmung die sich nicht auf Politik oder Gesetze berufen muss, sondern die Mitgestaltend tätig ist, Schöpferisch und nicht dogmatisch stagniert sich an etwas „festklammern“ möchte, was ein Zeichen absoluter Unmündigkeit ist. Und alle Denker und kreativen Köpfe, die gestalterisch mitgewirkt haben an der „Deutschen Kultur“ waren eben solche Menschen, und diese haben nie Angst gegenüber fremden Einflüssen gehabt, denn diese Angst steht im krassen Gegensatz zu kultureller Entwicklung des Menschen.

Und nun zu der Problematik, dass wir diese Freiheit nicht mehr haben, dass sie immer mehr eingeschränkt und beschnitten wird:
Die Ursachen dessen sind zur Gänze in der verheerenden Entwicklung unserer wirtschaftlichen Welt, des Kapitalistischen Systems zu suchen und sie sind sogar schon längst gefunden. Nicht etwa die „Ströme“, die „Flut“, die „Masse“ an Scheinflüchtigen, an Immigranten und in der öffentlichen Meinung ohnehin als moralisch unterlegenen Fremdartigen ist hierfür verantwortlich. Die Wirtschaftsphilosophie des noch immer von uns getragenen Systems ist in ihrer Fehlerhaftigkeit schon lange als zerstörerischste menschliche Kraft entlarvt, jedoch eben nicht für Menschen wie Anabel Schunke, die in ihren jungen Jahren noch zu einhundert Prozent Nutznießerin der Ausbeutungswirtschaft ist und geschützt durch die Gnade der Geburt und das Geld die Traumwelt eines Weiße-Weste-Kapitalismus lebt, der mit tatsächlicher „Deutscher Kultur“ im Sinne von beispielsweise Thomas Mann, Hermann Hesse, Martin Heidegger, Friedrich Nietzsche, Gottfried Wilhelm Leibnitz, Karl Marx, Theodor W. Adorno, Mozart, Schumann, Wagner, Kraftwerk, Heino, Extrabreit, Nena…. nicht das Geringste zu tun hat. Diese Scheinwerte, die sie hier so freizügig im Namen der Xenophobie ohne sie zu nennen propagiert werden sollen, waren noch nie reale, wirkliche Werte. Es sind ideologisch verblendete elite-Positionen, die hier die Angst und damit den Hass der Bevölkerung zu schüren versuchen, in der verzweifelten Anstrengung, allein ihren persönlichen Status aufrecht zu erhalten und dabei über Leichen zu gehen. Denn eigentliche Werte kultureller oder auch nationalpolitischer Natur können einem nicht genommen werden. Heimat übrigens schon, indem man gewaltsam von dort vertrieben wird. Ich bin sogenannter „Deutscher“, und ich fühle mich motiviert durch Träger der Deutschen Kultur. Motiviert und Angespornt, ihre Arbeit fortzuführen. Aber mich auf ihren Lorbeeren auszuruhen und zu hoffen, dass sich das noch eine Weile irgendwie so aushalten lässt, dafür ist mir Deutschland, die Lehren und Erfahrungen die wir hier machen dürfen und durften, viel zu schade, auch im Namen der Anabel Schunke. In dem Moment, in dem man den Finger erhebt und auf andere Zeigt, ihnen die Verantwortung für Probleme die einen selbst betreffen zuschiebt, in dem Moment hat man sich an der Kultur vorbeigeschlichen. ~ Beastian