Wenn es um Reaktionen auf andere Menschen, auf ihre
Äußerungen und ihr Verhalten einem selbst gegenüber geht, dann ist man schnell
der Meinung diese Menschen seien für die Reaktionen auch wenigstens zu einem
Teil mit verantwortlich. Doch das ist nicht wirklich der Fall wenn man sich
selbstehrlich befragt und mit den Reaktionen auseinandersetzt.
Wer ist verantwortlich für meine emotionalen und
körperlichen Reaktionen?
Nehmen wir zum Beispiel eine Auseinandersetzung zwischen
Lebenspartnern, bei der es sich um eine ganz banale Sache wie das Heruntertragen
des Hausmülls geht. Die simple Aufforderung den Müll in die Tonne zu bringen
kann unter Umständen eine heftige emotionale Reaktion auslösen die zu der
eigentlich einfachen Situation in keinem Verhältnis steht. Für diese Reaktion
kann es wieder viele verschiedene Gründe geben, es wäre überhaupt nicht möglich
oder erstrebenswert alle diese Gründe auch schon bei einer einzigen Person
aufzuspüren, denn die emotionalen Verbindungen und die bewussten und
unbewussten Verzweigungen von Bedeutungssträngen in der Tiefen
Persönlichkeitsstruktur eines Menschen sind letzten Endes auch nur ihm selbst
zugänglich und darum ist gerade das die Herausforderung auf dem Weg zur
Selbstehrlichkeit und Freiheit von scheinbaren Erklärungsmustern die für
Konflikte und unlösbar verhärtete Situationen zwischen Menschen sorgen.
Wenn man sich also in einer vergleichbaren Situation im
Moment der emotionalen Reaktion selbst stoppt, nicht mehr an der Gedankenkette
von Selbstrechtfertigung, Beschuldigung und dem emotionalen Bedürfnis sich in
Ärger und Wut zu verlieren beteiligt, dann stellt man zum einen fest, dass die
Situation nicht abhängig von diesem inneren Konflikt ist und man auch ohne
dieses emotionale Muster sehr gut durch sie hindurch kommt, und zum anderen
merkt man durch diesen Schritt, dass man selbst die eigenen Reaktionsmuster
steuern und vielleicht sogar kontrollieren kann. Ein Vielleicht bleibt es so
lange, bis man sich tatsächlich durch die eigenen Gedankenmuster gewühlt und
sie verstanden hat, so dass man sich selbst bestätigt, dass man sie eigens
kreiert und kultiviert hat und sie keineswegs von jemand anderem erzeugt oder
verursacht werden. Das ist ein enormer Schritt der Selbstbefreiung, weil man sich
eben nicht mehr als abhängiges Opfer und als Spielball der Umstände sieht und
verhält, sondern selbstbestimmt, frei und offen mit jeglicher Situation
umzugehen imstande ist. Es ist natürlich ein Prozess dorthin zu gelangen der
keineswegs immer angenehm ist, daher zieht man oft den gewohnten Umgang der
Schuldzuweisung und der externalisierten Ursachensuche vor, man kennt sich mit
den emotionalen Reaktionsmustern aus und kostet sie aus, weil sie einem das
Gefühl geben etwas reales, wirkliches zu sein. Im Grunde sind sie aber nur
flüchtige Wellen von Energie die letzten Endes sinnlos verschwendet ist.
Tatsächlich sucht dieses emotionale Reaktionsprogramm nach
einem Gegenspieler der sich entsprechend der erwarteten Rolle verhält und da diese
Verhaltensmustern und diese Denkabläufe gesellschaftlich kulturell integriert
sind, findet man in seinem gegenüber ein dankbares Opfer das eben auf diese
Schuldzuweisungen provoziert reagiert und ebenfalls mit Ärger und Zorn oder
aber auch mit unterwürfiger Beschwichtigung reagiert, so dass man sich
bestätigt und rehabilitiert fühlen kann. Doch all diese Spielereien dienen
keinem wirklichen Zweck, lösen keine realen Probleme, sie sind eben nicht wie
oftmals behauptet wird produktiv sondern hemmen und bremsen den Menschen, die
Situation und beider Entwicklung. Denn betrachtet man die inneren Vorgänge in
einer solchen Situation stellt man fest, dass die Reaktionen, die Emotionen mit
Erinnerungen verknüpft sind und das Bewusstsein stetig versucht vergleiche
herzustellen und die aktuelle Situation zu einer Kopie bestimmter Erfahrungen aus
der Vergangenheit zu machen. Dadurch wiederholt man gedanklich einfach
vergangene Erlebnisse ohne wirklich konsequenten Bezug zur aktuellen Situation
zu nehmen. Dadurch verbaut man sich viele Möglichkeiten die eigenen Fähigkeiten
der Problemlösung gezielt auf die eigentliche Erfahrungssituation anzuwenden.
Und selbstverständlich kann mit dem gesunden Menschenverstand bemessen keine
Situation zu einhundert Prozent mit einer anderen Situation vergleichbar sein.
Aber genau davon gehen solche emotionalen Reaktionsmuster aus, was sie zu einer
Endlosschleife, zu einem Programmfehler macht.
In Wahrheit können wir alle unsere Reaktionen, unsere
emotional bedingten Urteile und fadenscheinigen Schuldzuweisungen abstellen.
Wir haben die Möglichkeit in jedem Moment unsere Funktionen zu erkennen und zu
verstehen um dadurch nicht nur uns selbst zu befreien und uns einen Gefallen zu
tun, sondern auch im Sinne des Besten für alle zu handeln. Denn natürlich ist
auch das Gegenüber in dem Moment wieder in einem emotionalen Reaktionsprogramm
gefangen so lange wir dieses Spiel betreiben und die vorhersehbaren und
erwarteten Verhaltensmuster zeigen.
Nehmen wir wieder das Beispiel „Müll runter tragen“, wie oft
ist es so, dass derjenige der jemanden zu dieser Handlung auffordert im Grunde
schon mit einer Ablehnenden Reaktion, mit Ärger und Unmut rechnet, sich
sozusagen schon innerlich wappnet mit einem Gegenargument, einem Druckmittel
wie beispielsweise einer erpresserischen Drohung aufzuwarten? Der Verlauf, der
Konflikt ist damit im Moment der Aufforderung schon vorbestimmt und man könnte
sich und dem anderen einen großen Gefallen tun indem man diese vorhersehbare
Situation vermeidet und den Müll einfach selbst herunterbringt. Natürlich würde
das die Grundproblematik die zwischen den beiden Personen besteht nicht lösen,
dennoch könnte man dadurch viel Zeit sparen und ungesunden Stress vermeiden.
Allerdings reicht bisweilen auch schon das kommentarlose „selbst-Heruntertragen“
aus um eine emotionale innere Reaktion bei dem anderen hervorzurufen, der auf
diese Handlung reagiert als ob man etwas gesagt hätte. So absurd das klingen
mag, viele kennen sicherlich eine ähnliche Situation. Denn auch der andere kann
durch die ewige Wiederholung ähnlicher Situationen, durch reine Gewohnheit
schon eine Erwartungshaltung entwickeln, die beim Beobachten des anderen wenn
er den Mülleimer leert bestimmte Signale wie Augenrollen, Stöhnen,
Körperhaltung usw. als eine Provokation interpretiert und als solche aufnimmt.
Das heißt, dass das vermeiden solcher Momente kaum mehr möglich ist, es sei
denn man fängt gemeinsam an diese Problematik selbstehrlich und offen
anzugehen, und das bedeutet jeder muss eigenständig und für sich selbst in der
Lage sein die eigene Verantwortung für das Entstehen solch emotionaler
Reaktionsmuster anzuerkennen und zu analysieren.
Andernfalls ist jeder Versuch der Harmonisierung einer
Beziehung nur kurzfristig und allein vom Moment der Aussprache und der Energie
der Motivation getragen, welche – und das liegt in der Natur jeder
energetischen Aufladung – verfliegen wird und die alten Muster werden sogar
verstärkt wieder auftreten, da der Faktor der Frustration und Enttäuschung hinzukommt,
für dessen unangenehmes Empfinden man natürlich wiederum die andere Person
verantwortlich machen wird.
Die Schwierigkeiten denen man sich in einem selbstehrlichen „Reinigungsprozess“
stellen muss sind enorm und die Versuchung sich in Schuldzuweisungen und
Rechtfertigungen für erkannt inakzeptables Verhalten zu verlieren ist groß.
Doch muss man sich, wenn man es ernst mit sich selbst meint, immer wieder
zurückholen in den Moment der Wirklichkeit, des Hier seins, dem äußerst un-spirituellen
Hier und Jetzt in dem es keine Vergangenheit gibt. Nur dann kann man
feststellen wie selbstehrlich und aufrichtig man wirklich ist, denn die
Entscheidung gegen über Generationen in Fleisch und Blut übergegangene
Gewohnheiten zu handeln ist eine der schwersten und es gibt dafür kein
Schulterklopfen, keine direkte Belohnung, eine Systematik die uns ebenfalls vom
System der verlogenen Heuchelei in dem wir leben einprogrammiert wurde, die
Erwartung der direkten, eigennützigen Belohnung. Der Ertrag ist langfristig und
vor allem wirklich. Er hat Wert und Substanz und nicht ausschließlich im
ideellen Sinn, sondern wahrhaftig im physischen, lebendigen. Der „Erfolg“ ist
hier ein universaler, das Resultat ist zum Besten aller.
Alles was wir in unserer Welt an Wertvorstellungen und
persönlichem Erfolg konzipiert haben trägt den Denkfehler in sich, dass es
allein auf unsere Vorstellungswelt ankäme und erst zweitrangig auf die der
physischen Umstände. In all den verhältnismäßig kurzen Jahren der
Menschheitsgeschichte hat dieses Denken, je tiefer es sich verankert hat,
unendliches Leid und Zerstörung hervorgebracht. Die Argumentation der
Fortschrittlichkeit unserer Zivilisationen, der Technologie und des Gesundheitswesens
lassen außer Acht, dass dieses Potential nicht nur ausschließlich einer relativ
kleinen Elite der Weltbevölkerung zugute kommt, sondern dass es unter anderen
Umständen, ohne die profitorientierte und machtzentrierte, gewaltsame Steuerung,
ohne die Selbstsüchtige Unterdrückung und Sabotage anderer sehr wahrscheinlich
noch wesentlich größer und fortschrittlicher sein könnte als es für eben diese
elitäre Gruppe schon ist. Die dreiste Argumentation, es sei eben dieser
Wettkampf der Menschen, der den Fortschritt erst in Gang setzen würde, die
Triebfeder aller Entwicklung ist geradezu lächerlich, denn die Ausbeutung und
Verelendung ganzer Nationen im Namen des Profits hat nur denjenigen Menschen
geholfen, die eben gerade dieses Potential in die Bahnen ihres Selbstinteresses
lenken und durch den zwangsweise verbreiteten existentiellen Zwang eben gerade
nur solche Bereiche der Entwicklung und Forschung vorantreiben, die dem Erhalt
dieser Plutokratischen Machtverhältnisse und der Diktatur der Psychopatischen
Profitgier dienen. Und was tut man, um Forschung und Entwicklung eines
bestimmten Bereiches, beispielsweise des militärischen Sektors, voranzutreiben?
Man pumpt Geld hinein, stellt Mittel zur Verfügung, mach den Forschern die
Arbeit so angenehm wie möglich und bezahlt sie gut. Nicht etwa, weil sie für
das Wohl aller arbeiten, sondern ausschließlich im Interesse derjenigen, die
das Geld zur Verfügung stellen, welches eben in den Händen derer liegt, die die
Macht in einer hochgradig Lebensfeindlichen und würdelosen, heuchlerischen
Systematik haben.
So bin ich in einem Zug vom Kleinen ins Große geraten, und
genau so ist es mit unserer menschlichen Weltenordnung. Das Große repräsentiert
das Kleine und umgekehrt. Das System kann nur so existieren, weil wir alle es
in unserem täglichen Verhalten, Handeln und Denken zulassen, es nähren und
unterstützen. Zwangsläufig müssen wir uns an die Regeln und Gepflogenheiten
anpassen um nicht unsere Existenz aufs Spiel zu setzen und nicht dieses Gefühl
von Identität zu verlieren, das uns künstlich eingepflanzt und immer wieder neu
verkauft wird. Weil wir daran glauben machen wir weiter und treiben uns wie ein
emotionaler Junkie in den eigenen Untergang. Dieses Wort mag pathetisch
klingen, aber es ist eigentlich ganz banal real.
Die Identität aber, die ich verlieren kann, ist keine
Identität. Das Selbstwertgefühl, das mir ein anderer durch Worte oder Taten
schmälern kann, ist kein wirklicher Selbstwert. Wenn ich mich nicht selbst so
sehen kann wie ich bin, dann kann ich mich auch niemals selbst bestimmen.
Wollen wir also als Menschen, als Menschheit mehr sein als programmierte
Fleischmaschinen die nach und nach Opfer ihrer eigenen Ignoranz werden, dann
müssen wir, im Kleinen und dann im Großen (sofern es diesen Unterschied
überhaupt gibt) damit anfangen unsere innere Systematik, die Programme und
Muster unseres Denkens zu verstehen. Und das geht eben nur dann, wenn wir uns
in gnadenloser Selbstehrlichkeit gegenübertreten und die Masken vor uns selbst
fallen lassen. Was wir dann sehen ist das was wir sind. Und was wir dann
wahrhaftig ändern ist das, was wir sein werden. Das kann aber nur etwas sein,
für das wir allein gerade stehen und für das wir allein die Verantwortung
tragen.
Eigenständigkeit, Eigenverantwortlichkeit und
Selbstbestimmung. Hier sein für sich selbst und die Einheit allen Lebens die
man ist. Das macht einen freien, ehrlichen, vertrauenswürdigen und mündigen
Menschen aus. Und allein auf dieser Grundlage lassen sich freiheitliche
Gesellschaften aufbauen.
Fortsetzung folgt…