Bastian Neumann |
Zeugnisse eines gewollten Versagers
Verfasst am 02.11.2012
Verfasst am 02.11.2012
Stichworte:
Reue
Frust
Zweifel
Selbstvertrauen
Hin und wieder erlebe ich, dass ich wehmütig auf frühere
Lebensereignisse zurückblicke und mir vorstelle, was ich wohl hätte
anders machen können und ob ich mich dann wohl heute besser fühlen
würde. Diese Gelegenheiten sind sehr selten und wenn sie auftreten,
dann dreht es sich in aller Regel um eine Zeit meines Lebens in der
ich viel Musik gemacht habe. Es ist hierbei keineswegs so, dass ich
mir Illusionen mache über meine Fähigkeiten und was wohl aus ihnen
geworden wäre wenn ich weiter gemacht hätte, es geht mehr um das
Prinzipielle 'Gefühl' ein 'Musiker' zu sein und die Fragen die ich
mir stelle drehen sich um meine Zweifel um die Wahrhaftigkeit dieses
Empfindens und vor allem um meine Selbstehrlichkeit im Bezug auf
meine Entscheidung die Musik aufzugeben, mich nicht wirklich
dahinterzuklemmen und nicht alles zu geben um auch wirklich gut genug
zu werden. Denn als ich anfing Gitarre zu spielen und später mit
anderen gemeinsam Musik machte, war ich als Mensch ein zutiefst
unsicherer, beeinflußbarer, von Schuldgefühlen und Verbitterung
geplagter Mensch, weit davon entfernt selbstbestimmt, selbstbewußt
und eigenständig zu sein. Vielleicht ein Stückweit 'normal' in
unserer Gesellschaft für einen jungen Menschen, doch habe ich mich
auch sehr in diese Rolle fallen lassen, mich darin gehen lassen und
mit ihr identifiziert. Dadurch war ich auch nie wirklich in der Lage
mich nach außen auszudrücken, das, was mich vielleicht ausgemacht
hätte oder das, was ich mit 'Musik' und meinem Spiel ausdrücken
wollte auch zu vermitteln, aufgrund der tiefen Selbstzweifel und
natürlich dem daraus resultierenden Frust und der Verbitterung die
mich in mich selbst eingeschlossen hatte. So war ich lediglich mit
mir selbst und vor mir selbst ein frei spielender 'Musiker', nur vor
mir selbst habe ich mich wirklich 'wohl' gefühlt. Es ist ganz klar,
dass in einer solchen Entwicklung das Spiel zum Selbstzweck wird und
dass daraus eine 'Musik' entsteht, die rein von der eigenen
Persönlichkeit geprägt und auf sie ausgerichtet ist und natürlich
mehr und mehr auch nur noch für die eigene Person, den eigenen
emotionalen Körper, den eigenen Charakter verständlich bleibt. Im
Grunde eine Entfremdung der Musik, zwar immer noch 'Musik', aber ohne
Botschaft, eine Sprache ohne Sinn, ein reines Spiel mit dem eigenen
Unterbewußtsein.
Mein Spielen wurde mehr zu einem Selbstgespräch, in der Art der
Gedankengänge die man bisweilen hat, deren Bedeutung man sich voll
bewußt ist ohne sie wirklich in Sprache umzusetzen.
In dieser Weise habe ich mich natürlich zu dieser Zeit nicht nur mit
meiner Musik ausgegrenz und eingeschlossen, sondern ebenso in anderen
Bereichen meines Lebens. In dieser Abgeschotteten Position die ich
mir selbst zugeschrieben hatte habe ich mich als Mensch und als der
'Musiker' für den ich mich halten wollte ind eine Illusion
geflüchtet, in die Illusion meiner Persönlichkeit als meiner
eigenen, ganz privaten Geschichte, abgetrennt und unverständlich für
mein Umfeld. Eine äußerst ungünstige Ausgangssituation um Musik zu
machen.
Es ist daher immer schwierig für mich gewesen mich selbst
einzuschätzen, meine Fähigkeiten ehrlich zu beurteilen. Denn
natürlich hielt ich mich im Grunde für 'gut', ich habe ja auch den
'Zugang' sozusagen zu 'meiner Art' mein Instrument zu spielen gehabt.
Nur habe ich eben an der Wirklichkeit vorbeigespielt, mir in
vielerlei Hinsicht etwas vorgemacht und konnte mit den realen
Ergebnissen meiner Tätigkeit nie zufrieden sein, geschweige denn
eine Resonanz erhalten die für mich zu diesem Zeitpunkt wichtig war,
da ich natürlich als dieser Charakter 'Musiker' auch darauf aus war,
entsprechende Anerkennung zu bekommen.
Doch weiß ich heute, dass genau das eins der Probleme war, dass ich
versucht habe etwas zu sein, von dem ich mir überhaupt nicht sicher
sein konnte was genau das war, woher genau überhaupt dieser Wunsch
kam. Um diese Anerkennung von meinem Umfeld zu erhalten hätte ich
eine ganz andere Art 'Musiker' sein müssen, ich hätte eben
disziplinierter Arbeiten, mich mehr an den Konventionen ausrichten
und genau das machen müssen, was man erwartet. Damit ist nicht
gemeint genau das spielen zu müssen, was man erwartet, sondern eben
die Art und Weise die Musik zu 'handhaben' und sie interpretierbar zu
machen. Doch das war nie meine Herangehensweise gewesen, ich habe
immer gespielt mit dem Instrument, habe Töne produziert und sie
sprechen lassen, habe spontan den Moment spielen lassen wollen, genau
so wie er sich mir dargeboten hat.
Das hört sich gut an, allerdings war meine Technik dafür nicht gut
genug. Zumindest dachte ich das.
Doch genau an diesem Punkt wurde mir eben meine Unsicherheit und
meine unselbständige Flucht in die Gedanken, in die Illusion meiner
Selbst zum Stolperstein, indem ich in Trotz und Verbitterung ob
meiner Unfähigkeit mich nach außen auszudrücken und verständlich
zu machen meine Selbstdisziplin und die notwendige Hingabe an die
Selbstperfektion im Spiel und Umgang mit dem Instrument verweigert
habe. Ich konnte und wollte nicht die Art des Spielens erlernen wie
es andere taten, sondern wollte meinen ursprünglichen Zugang zu dem
Instrument und der Musik beibehalten. Jedoch war ich nicht reif und
eigenständig genug um auch selbstbestimmt und eigenverantwortlich
dafür an mir zu arbeiten. Stattdessen tat ich das, was jeder
vergeistigte und egoistische Charakter in einer solchen Situation
tut, er reagiert verbittert und trotzig, sucht die Schuld und die
Verantwortlichkeit für die eigenen Unsicherheiten bei anderen,
außerhalb seines Selbst, in den Systemen, den Konventionen und
Strukturen, in anderen Personen, indem er sich in
Minderwertigkeitskomplexen suhlend selbst für seine Untätigkeit und
Stagnation rechtfertigt.
Es ist mir klar, dass Reue überhaupt keinen Sinn macht und dass ich
für alle meine Entscheidungen verantwortlich bin, und wenn sie in
noch so tiefer Selbstverblendung getroffen wurden. Wenn ich
selbstehrlich für mich und mein Leben stehe, dann kann es keine Reue
und auch keine Schuldzuweisungen geben. Es stellt sich mir also die
Frage was die Gründe und die Gedankenstrukturen sind, die mich hin
und wieder in diese emotionalen Situationen bringen, dass ich mich
frage was gewesen wäre wenn ich mich anders entschieden hätte, oder
wenn ich dabei geblieben wäre, wenn ich mich mehr angestrengt hätte
und die Musik nicht für viele Jahre völlig aufgegeben hätte.
Es sind zum einen die Erinnerungen an ganz bestimmte Momente, vor
allem an das gemeinsame Spielen, die Stunden des gemeinsamen Übens,
und dann natürlich die Auftritte, die Emotionen, das Adrenalin, die
Erfolgserlebnisse und der Spaß. Diese Momente existieren in meinen
Erinnerungen als eher unbestimmte Bilder, verbunden mit einem
aufregenden Gefühl, einer Energie die das Ungewisse zusammen mit dem
Erlebnis des gemeinsamen Musik machens, den Klangerlebnissen und dem
Gefühl vor einem Publikum etwas 'zu leisten', das etwas 'besonderes'
ist hervorruft. Das gegenseitige 'Pushen', die Vorstellungen die man
sich davon macht, wie man wohl auf die Menschen wirkt, die Illusion
'bewundert' zu werden als eine Person die man sein möchte, einen
Schein zu erzeugen, sich sicher und stabil zu fühlen, aufgrund der
Resonanz des Publikums.
- Klar ist man als 'Künstler' und 'Idealist' immer der Meinung man
tut alles nur für die Musik, um ihrer selbst willen, man möchte
'den Leuten etwas geben', man wäre sozusagen 'im Namen des Herrn
unterwegs', aber das ist nicht mehr als der trügerische Schein den
man sich selbst versucht vorzumachen um das Selbstbild eines
'Gutmenschen' aufrecht zu erhalten, ebensowenig geht der Fitness
besessene aus reinem Gesundheitsbewußtsein und nur für sich selbst
ins Fitness Studio -
Es ist das durch die Kultur, durch das Wertesystem der Gesellschaft
geprägte Selbstwertgefühl das immer abhängig ist von der Reaktion,
der Anerkennung oder aber auch der Ablehnung anderer Menschen.
Und bei alledem ist es der Gedanke an ein Leben das durchsetzt ist
und bestimmt wird von solchen Momenten des gemeinsamen 'Erlebens'
solcher 'Hypes'. Eine Vorstellung eines Lebens als Musiker, das in
seiner idealisierten Form aus den zusammengestückelten
Erinnerungsmomenten besteht.
Zum anderen ist es der Wunsch dieses Spiel für mich selbst
zu perfektionieren. Diese Momente des Selbstgesprächs durch die
Musik, sich selbst vor sich selbst zu erklären, sich aus sich
herauszuspielen und sich dadurch selbst zu sehen und zu verstehen.
Die Suche nach einer universalen Sprache die mit ein paar Tönen all
das Ausdrückt und klarmacht, was so enorm anstrengend ist sich in
seiner Muttersprache zu vergegenwärtigen.
Und genau hier ist wohl ein Punkt der Unehrlichkeit gegenüber mir
selbst, in dem Wunsch etwas musikalisch zu bewerkstelligen, vor dem
ich im Grunde davonlaufen will, das ich mir nicht wirklich deutlich
und selbstehrlich vergegenwärtigen möchte. Es ist der Versuch mich
selbst, beziehungsweise das was ich mir selbst erlaubt habe zu
werden, als Persönlichkeit, als dieser programmierte Charakter, zu
mystifizieren und in eine andere Sphäre zu heben in der Hoffnung,
dass es dort vielleicht tatsächlich als etwas 'Erhabenes' oder
'Besonderes' erscheinen würde.
Ich war 'mystisch', ich war sogar in gewisser Weise 'okkult', jedoch
war der Grund dafür der Unwille mich meiner wahren Person, meinem
Charakter und vor allem meiner eigenen Verantwortlichkeit für das
was ich mir erlaubt habe zu werden zu stellen. Und das was ich
versucht habe in meiner Musik darzustellen wurde so unweigerlich zu
einer Lüge, einem Versuch mich selbst nur noch weiter zu verleugnen,
mich zu verblenden. Ich habe lediglich weitere Ebenen desselben
Charakters geschaffen, noch wirrer und noch undeutlicher, noch
undurchdringlicher für meine Selbstwahrnehmung.
Ich habe mich also verstrickt in eine von Grund auf unehrliche
Selbstwahrnehmung sowohl gedanklich und in meiner inneren Vorstellung
als auch musikalisch indem ich als diese Diffuse Vorstellung
einer Person versucht habe zu spielen und mich mir selbst gegenüber
auszudrücken, und dabei noch etwas nach außen zu tragen, mich zu
repräsentieren.
All das war natürlich nicht primär in meinem Bewußtsein, denn ich
war viel zu sehr damit beschäftigt an mir als dieses Selbstbild
Bewußt und unbewußt zu arbeiten um es aufrecht zu erhalten. Und
natürlich spielte zu dieser Zeit der Alkohol ebenfalls eine große
Rolle bei diesem Selbstbetrug und dem 'Verrat am Leben'.
Doch genug davon, denn diese Dinge waren mir, wenn auch nicht in der
Deutlichkeit in der sie sich mir jetzt, nachdem ich das geschrieben
habe, bereits bekannt. Doch die eigentliche Frage bleibt: was
veranlasst mich dazu immer wieder in Momente des Bedauerns zu
verfallen und was hält mich davon ab einfach wieder anzufangen, mir
ein Instrument zuzulegen und zu spielen? Zu üben und die Musik als
das zu nehmen was sie ist, mich darin auszudrücken,
selbstreflektiert und selbstehrlich so wie ich es in meinen Texten
tue, oder aber auch einfach nur um mich zu unterhalten, um sie zu
genießen?
Tatsächlich habe ich diese Versuche bereits drei mal unternommen.
Das erste Mal ist schon etwa zehn Jahre her, und war wahrscheinlich
für mich persönlich das traumatischste Ereignis, das ich tief in
meiner Erinnerung vergraben habe und das mich dazu veranlasst hat
mich als Musiker einhundert Prozentig abzuschreiben. Ich habe bisher
nicht ausführlich darüber geschrieben oder gesprochen, viele Jahre
danach immer in unbewußter Opferrolle gelebt und diese
Selbstbeurteilungen und Anklagen unbearbeitet mit mir herumgetragen.
Ein von Minderwertigkeitsgefühlen geprägtes Selbstbild geformt und
bei alledem immernoch nicht die Eigenverantwortung übernommen mich
der Wahrhaftigen Ursache dieser Elebnisse zu stellen und zu erkennen,
dass ich allein verantwortlich bin, dass ich niemandem die Schuld
zuweisen kann, weil ich als das Leben in diesem Leben stehe, als
Mensch ein Teil all dessen bin, und dass ich mich auch wenn meine
Wahrnehmung der Musik entgegen all dem Steht was das System das wir
leben aus ihr macht, wenn ich mich nicht einverstanden erkläre mich
diesem Weg einer musikalischen Ausbildung anzupassen, nicht in eine
Opferrolle begeben kann um 'das System' dafür verantwortlich zu
machen, zu warten, dass sich etwas ändert, weil dieser Akt ein Akt
der Feigheit vor der eigenen Verantwortung für und als das Leben
ist. Sich dem zu stellen wovon man ein Teil ist, das System zu
erkennen und zu verstehen, sich gleich und eins mit dem Leben die
Systeme - in allen Bereichen des Lebens übrigens - zu
vergegenwärtigen und sich ihnen zu stellen um in
eigenverantwortlicher und vor allem eigenständiger Entscheidung die
Punkte zu bearbeiten oder umzugestalten die vom Standpunkt der
Gleichheit allen Lebens und der angeborenen Freiheit des Lebens nicht
akzeptabel sind, das ist ein eigenverantwortlicher und
Selbstbestimmter Akt, eine lebendige Handlung die eben aktive
Mitarbeit verlangt. Aber vor allem auch ein Selbstbewußtsein, das
unumstößlich in eigenständiger Selbsterkenntnis steht, unabhängig
von Bestätigung und Anerkennung von Außen. Das heißt, dass dieses
Selbstbewußtsein, das das Bewußte Sein als das Leben, als
eine Erkenntnis der offensichtlichsten Wahrheit der Einheit und
Gleichwertigkeit allen Lebens ist, eine Vorbedingung für diesen
'Umgang' mit solchen und ähnlichen Situationen des Lebens in unserer
Welt ist. Dass in dieser Erkenntnis auch die Einsicht in die
Unmöglichkeit einer Opferrolle steckt, welche die
Eigenverantwortlichkeit für und als das Leben ablehnt oder zu
ignorieren versucht. Dieses Selbstbewußtsein ist die erste
Vernatwortung die in der Entwicklung zum eigenständigen Menschen als
Priorität in der gesellschaftlichen Verantwortung liegen sollte, vor
allem in der Anleitung und Ausbildung der Kinder.
Ich bin in vielen anderen Blogs schon intensiv auf diesen Punkt der
Eigenerantwortlichen Selbstschau eingegangen, in diesem speziellen
Fall soll er hier nur noch einmal kurz verdeutlicht werden, da es im
menschlichen Leben fast immer um diesen Punkt geht, wenn es zur
Verstrickung in ideelle, moralische und manchmal rein fantastische
Selbstrechtfertigungsgedanken kommt, um sich freizusprechen von
Vernatwortlichkeiten für und Beteiligungen an problematischen oder
gar bedrohlichen Situationen die dann meistens einen selbst
persönlich betreffen.
Dieser Blog zum Thema Musik und meinem 'Musiker Charakter' wird
offensichtlich weitaus ausführlicher als ich es erwartet hätte. Ich
werde im nächsten Blog mit dem 'Ersten Versuch' wieder Musik zu
machen und dem traumatischen Scheitern gefolgt von der
Selbstverurteilung und Selbstaufgabe weitermachen um mich
durchzuarbeiten bis zum jetzigen Moment, und in der Selbstvergebung
und Neuausrichtung diesen Charakter dekonstruieren.
Fortsetzung folgt...
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