Samstag, 3. November 2012

Tag 76 - Charakterrollen: 'der Musiker' (Teil 1)

Bastian Neumann


Zeugnisse eines gewollten Versagers                                                               
Verfasst am 02.11.2012

Stichworte:
Reue
Frust
Zweifel 
Selbstvertrauen


Hin und wieder erlebe ich, dass ich wehmütig auf frühere Lebensereignisse zurückblicke und mir vorstelle, was ich wohl hätte anders machen können und ob ich mich dann wohl heute besser fühlen würde. Diese Gelegenheiten sind sehr selten und wenn sie auftreten, dann dreht es sich in aller Regel um eine Zeit meines Lebens in der ich viel Musik gemacht habe. Es ist hierbei keineswegs so, dass ich mir Illusionen mache über meine Fähigkeiten und was wohl aus ihnen geworden wäre wenn ich weiter gemacht hätte, es geht mehr um das Prinzipielle 'Gefühl' ein 'Musiker' zu sein und die Fragen die ich mir stelle drehen sich um meine Zweifel um die Wahrhaftigkeit dieses Empfindens und vor allem um meine Selbstehrlichkeit im Bezug auf meine Entscheidung die Musik aufzugeben, mich nicht wirklich dahinterzuklemmen und nicht alles zu geben um auch wirklich gut genug zu werden. Denn als ich anfing Gitarre zu spielen und später mit anderen gemeinsam Musik machte, war ich als Mensch ein zutiefst unsicherer, beeinflußbarer, von Schuldgefühlen und Verbitterung geplagter Mensch, weit davon entfernt selbstbestimmt, selbstbewußt und eigenständig zu sein. Vielleicht ein Stückweit 'normal' in unserer Gesellschaft für einen jungen Menschen, doch habe ich mich auch sehr in diese Rolle fallen lassen, mich darin gehen lassen und mit ihr identifiziert. Dadurch war ich auch nie wirklich in der Lage mich nach außen auszudrücken, das, was mich vielleicht ausgemacht hätte oder das, was ich mit 'Musik' und meinem Spiel ausdrücken wollte auch zu vermitteln, aufgrund der tiefen Selbstzweifel und natürlich dem daraus resultierenden Frust und der Verbitterung die mich in mich selbst eingeschlossen hatte. So war ich lediglich mit mir selbst und vor mir selbst ein frei spielender 'Musiker', nur vor mir selbst habe ich mich wirklich 'wohl' gefühlt. Es ist ganz klar, dass in einer solchen Entwicklung das Spiel zum Selbstzweck wird und dass daraus eine 'Musik' entsteht, die rein von der eigenen Persönlichkeit geprägt und auf sie ausgerichtet ist und natürlich mehr und mehr auch nur noch für die eigene Person, den eigenen emotionalen Körper, den eigenen Charakter verständlich bleibt. Im Grunde eine Entfremdung der Musik, zwar immer noch 'Musik', aber ohne Botschaft, eine Sprache ohne Sinn, ein reines Spiel mit dem eigenen Unterbewußtsein.
Mein Spielen wurde mehr zu einem Selbstgespräch, in der Art der Gedankengänge die man bisweilen hat, deren Bedeutung man sich voll bewußt ist ohne sie wirklich in Sprache umzusetzen.
In dieser Weise habe ich mich natürlich zu dieser Zeit nicht nur mit meiner Musik ausgegrenz und eingeschlossen, sondern ebenso in anderen Bereichen meines Lebens. In dieser Abgeschotteten Position die ich mir selbst zugeschrieben hatte habe ich mich als Mensch und als der 'Musiker' für den ich mich halten wollte ind eine Illusion geflüchtet, in die Illusion meiner Persönlichkeit als meiner eigenen, ganz privaten Geschichte, abgetrennt und unverständlich für mein Umfeld. Eine äußerst ungünstige Ausgangssituation um Musik zu machen.
Es ist daher immer schwierig für mich gewesen mich selbst einzuschätzen, meine Fähigkeiten ehrlich zu beurteilen. Denn natürlich hielt ich mich im Grunde für 'gut', ich habe ja auch den 'Zugang' sozusagen zu 'meiner Art' mein Instrument zu spielen gehabt. Nur habe ich eben an der Wirklichkeit vorbeigespielt, mir in vielerlei Hinsicht etwas vorgemacht und konnte mit den realen Ergebnissen meiner Tätigkeit nie zufrieden sein, geschweige denn eine Resonanz erhalten die für mich zu diesem Zeitpunkt wichtig war, da ich natürlich als dieser Charakter 'Musiker' auch darauf aus war, entsprechende Anerkennung zu bekommen.
Doch weiß ich heute, dass genau das eins der Probleme war, dass ich versucht habe etwas zu sein, von dem ich mir überhaupt nicht sicher sein konnte was genau das war, woher genau überhaupt dieser Wunsch kam. Um diese Anerkennung von meinem Umfeld zu erhalten hätte ich eine ganz andere Art 'Musiker' sein müssen, ich hätte eben disziplinierter Arbeiten, mich mehr an den Konventionen ausrichten und genau das machen müssen, was man erwartet. Damit ist nicht gemeint genau das spielen zu müssen, was man erwartet, sondern eben die Art und Weise die Musik zu 'handhaben' und sie interpretierbar zu machen. Doch das war nie meine Herangehensweise gewesen, ich habe immer gespielt mit dem Instrument, habe Töne produziert und sie sprechen lassen, habe spontan den Moment spielen lassen wollen, genau so wie er sich mir dargeboten hat.
Das hört sich gut an, allerdings war meine Technik dafür nicht gut genug. Zumindest dachte ich das.
Doch genau an diesem Punkt wurde mir eben meine Unsicherheit und meine unselbständige Flucht in die Gedanken, in die Illusion meiner Selbst zum Stolperstein, indem ich in Trotz und Verbitterung ob meiner Unfähigkeit mich nach außen auszudrücken und verständlich zu machen meine Selbstdisziplin und die notwendige Hingabe an die Selbstperfektion im Spiel und Umgang mit dem Instrument verweigert habe. Ich konnte und wollte nicht die Art des Spielens erlernen wie es andere taten, sondern wollte meinen ursprünglichen Zugang zu dem Instrument und der Musik beibehalten. Jedoch war ich nicht reif und eigenständig genug um auch selbstbestimmt und eigenverantwortlich dafür an mir zu arbeiten. Stattdessen tat ich das, was jeder vergeistigte und egoistische Charakter in einer solchen Situation tut, er reagiert verbittert und trotzig, sucht die Schuld und die Verantwortlichkeit für die eigenen Unsicherheiten bei anderen, außerhalb seines Selbst, in den Systemen, den Konventionen und Strukturen, in anderen Personen, indem er sich in Minderwertigkeitskomplexen suhlend selbst für seine Untätigkeit und Stagnation rechtfertigt.

Es ist mir klar, dass Reue überhaupt keinen Sinn macht und dass ich für alle meine Entscheidungen verantwortlich bin, und wenn sie in noch so tiefer Selbstverblendung getroffen wurden. Wenn ich selbstehrlich für mich und mein Leben stehe, dann kann es keine Reue und auch keine Schuldzuweisungen geben. Es stellt sich mir also die Frage was die Gründe und die Gedankenstrukturen sind, die mich hin und wieder in diese emotionalen Situationen bringen, dass ich mich frage was gewesen wäre wenn ich mich anders entschieden hätte, oder wenn ich dabei geblieben wäre, wenn ich mich mehr angestrengt hätte und die Musik nicht für viele Jahre völlig aufgegeben hätte.

Es sind zum einen die Erinnerungen an ganz bestimmte Momente, vor allem an das gemeinsame Spielen, die Stunden des gemeinsamen Übens, und dann natürlich die Auftritte, die Emotionen, das Adrenalin, die Erfolgserlebnisse und der Spaß. Diese Momente existieren in meinen Erinnerungen als eher unbestimmte Bilder, verbunden mit einem aufregenden Gefühl, einer Energie die das Ungewisse zusammen mit dem Erlebnis des gemeinsamen Musik machens, den Klangerlebnissen und dem Gefühl vor einem Publikum etwas 'zu leisten', das etwas 'besonderes' ist hervorruft. Das gegenseitige 'Pushen', die Vorstellungen die man sich davon macht, wie man wohl auf die Menschen wirkt, die Illusion 'bewundert' zu werden als eine Person die man sein möchte, einen Schein zu erzeugen, sich sicher und stabil zu fühlen, aufgrund der Resonanz des Publikums.
- Klar ist man als 'Künstler' und 'Idealist' immer der Meinung man tut alles nur für die Musik, um ihrer selbst willen, man möchte 'den Leuten etwas geben', man wäre sozusagen 'im Namen des Herrn unterwegs', aber das ist nicht mehr als der trügerische Schein den man sich selbst versucht vorzumachen um das Selbstbild eines 'Gutmenschen' aufrecht zu erhalten, ebensowenig geht der Fitness besessene aus reinem Gesundheitsbewußtsein und nur für sich selbst ins Fitness Studio -
Es ist das durch die Kultur, durch das Wertesystem der Gesellschaft geprägte Selbstwertgefühl das immer abhängig ist von der Reaktion, der Anerkennung oder aber auch der Ablehnung anderer Menschen.

Und bei alledem ist es der Gedanke an ein Leben das durchsetzt ist und bestimmt wird von solchen Momenten des gemeinsamen 'Erlebens' solcher 'Hypes'. Eine Vorstellung eines Lebens als Musiker, das in seiner idealisierten Form aus den zusammengestückelten Erinnerungsmomenten besteht.

Zum anderen ist es der Wunsch dieses Spiel für mich selbst zu perfektionieren. Diese Momente des Selbstgesprächs durch die Musik, sich selbst vor sich selbst zu erklären, sich aus sich herauszuspielen und sich dadurch selbst zu sehen und zu verstehen. Die Suche nach einer universalen Sprache die mit ein paar Tönen all das Ausdrückt und klarmacht, was so enorm anstrengend ist sich in seiner Muttersprache zu vergegenwärtigen.

Und genau hier ist wohl ein Punkt der Unehrlichkeit gegenüber mir selbst, in dem Wunsch etwas musikalisch zu bewerkstelligen, vor dem ich im Grunde davonlaufen will, das ich mir nicht wirklich deutlich und selbstehrlich vergegenwärtigen möchte. Es ist der Versuch mich selbst, beziehungsweise das was ich mir selbst erlaubt habe zu werden, als Persönlichkeit, als dieser programmierte Charakter, zu mystifizieren und in eine andere Sphäre zu heben in der Hoffnung, dass es dort vielleicht tatsächlich als etwas 'Erhabenes' oder 'Besonderes' erscheinen würde.
Ich war 'mystisch', ich war sogar in gewisser Weise 'okkult', jedoch war der Grund dafür der Unwille mich meiner wahren Person, meinem Charakter und vor allem meiner eigenen Verantwortlichkeit für das was ich mir erlaubt habe zu werden zu stellen. Und das was ich versucht habe in meiner Musik darzustellen wurde so unweigerlich zu einer Lüge, einem Versuch mich selbst nur noch weiter zu verleugnen, mich zu verblenden. Ich habe lediglich weitere Ebenen desselben Charakters geschaffen, noch wirrer und noch undeutlicher, noch undurchdringlicher für meine Selbstwahrnehmung.

Ich habe mich also verstrickt in eine von Grund auf unehrliche Selbstwahrnehmung sowohl gedanklich und in meiner inneren Vorstellung als auch musikalisch indem ich als diese Diffuse Vorstellung einer Person versucht habe zu spielen und mich mir selbst gegenüber auszudrücken, und dabei noch etwas nach außen zu tragen, mich zu repräsentieren.
All das war natürlich nicht primär in meinem Bewußtsein, denn ich war viel zu sehr damit beschäftigt an mir als dieses Selbstbild Bewußt und unbewußt zu arbeiten um es aufrecht zu erhalten. Und natürlich spielte zu dieser Zeit der Alkohol ebenfalls eine große Rolle bei diesem Selbstbetrug und dem 'Verrat am Leben'.

Doch genug davon, denn diese Dinge waren mir, wenn auch nicht in der Deutlichkeit in der sie sich mir jetzt, nachdem ich das geschrieben habe, bereits bekannt. Doch die eigentliche Frage bleibt: was veranlasst mich dazu immer wieder in Momente des Bedauerns zu verfallen und was hält mich davon ab einfach wieder anzufangen, mir ein Instrument zuzulegen und zu spielen? Zu üben und die Musik als das zu nehmen was sie ist, mich darin auszudrücken, selbstreflektiert und selbstehrlich so wie ich es in meinen Texten tue, oder aber auch einfach nur um mich zu unterhalten, um sie zu genießen?
Tatsächlich habe ich diese Versuche bereits drei mal unternommen. Das erste Mal ist schon etwa zehn Jahre her, und war wahrscheinlich für mich persönlich das traumatischste Ereignis, das ich tief in meiner Erinnerung vergraben habe und das mich dazu veranlasst hat mich als Musiker einhundert Prozentig abzuschreiben. Ich habe bisher nicht ausführlich darüber geschrieben oder gesprochen, viele Jahre danach immer in unbewußter Opferrolle gelebt und diese Selbstbeurteilungen und Anklagen unbearbeitet mit mir herumgetragen. Ein von Minderwertigkeitsgefühlen geprägtes Selbstbild geformt und bei alledem immernoch nicht die Eigenverantwortung übernommen mich der Wahrhaftigen Ursache dieser Elebnisse zu stellen und zu erkennen, dass ich allein verantwortlich bin, dass ich niemandem die Schuld zuweisen kann, weil ich als das Leben in diesem Leben stehe, als Mensch ein Teil all dessen bin, und dass ich mich auch wenn meine Wahrnehmung der Musik entgegen all dem Steht was das System das wir leben aus ihr macht, wenn ich mich nicht einverstanden erkläre mich diesem Weg einer musikalischen Ausbildung anzupassen, nicht in eine Opferrolle begeben kann um 'das System' dafür verantwortlich zu machen, zu warten, dass sich etwas ändert, weil dieser Akt ein Akt der Feigheit vor der eigenen Verantwortung für und als das Leben ist. Sich dem zu stellen wovon man ein Teil ist, das System zu erkennen und zu verstehen, sich gleich und eins mit dem Leben die Systeme - in allen Bereichen des Lebens übrigens - zu vergegenwärtigen und sich ihnen zu stellen um in eigenverantwortlicher und vor allem eigenständiger Entscheidung die Punkte zu bearbeiten oder umzugestalten die vom Standpunkt der Gleichheit allen Lebens und der angeborenen Freiheit des Lebens nicht akzeptabel sind, das ist ein eigenverantwortlicher und Selbstbestimmter Akt, eine lebendige Handlung die eben aktive Mitarbeit verlangt. Aber vor allem auch ein Selbstbewußtsein, das unumstößlich in eigenständiger Selbsterkenntnis steht, unabhängig von Bestätigung und Anerkennung von Außen. Das heißt, dass dieses Selbstbewußtsein, das das Bewußte Sein als das Leben, als eine Erkenntnis der offensichtlichsten Wahrheit der Einheit und Gleichwertigkeit allen Lebens ist, eine Vorbedingung für diesen 'Umgang' mit solchen und ähnlichen Situationen des Lebens in unserer Welt ist. Dass in dieser Erkenntnis auch die Einsicht in die Unmöglichkeit einer Opferrolle steckt, welche die Eigenverantwortlichkeit für und als das Leben ablehnt oder zu ignorieren versucht. Dieses Selbstbewußtsein ist die erste Vernatwortung die in der Entwicklung zum eigenständigen Menschen als Priorität in der gesellschaftlichen Verantwortung liegen sollte, vor allem in der Anleitung und Ausbildung der Kinder.
Ich bin in vielen anderen Blogs schon intensiv auf diesen Punkt der Eigenerantwortlichen Selbstschau eingegangen, in diesem speziellen Fall soll er hier nur noch einmal kurz verdeutlicht werden, da es im menschlichen Leben fast immer um diesen Punkt geht, wenn es zur Verstrickung in ideelle, moralische und manchmal rein fantastische Selbstrechtfertigungsgedanken kommt, um sich freizusprechen von Vernatwortlichkeiten für und Beteiligungen an problematischen oder gar bedrohlichen Situationen die dann meistens einen selbst persönlich betreffen.

Dieser Blog zum Thema Musik und meinem 'Musiker Charakter' wird offensichtlich weitaus ausführlicher als ich es erwartet hätte. Ich werde im nächsten Blog mit dem 'Ersten Versuch' wieder Musik zu machen und dem traumatischen Scheitern gefolgt von der Selbstverurteilung und Selbstaufgabe weitermachen um mich durchzuarbeiten bis zum jetzigen Moment, und in der Selbstvergebung und Neuausrichtung diesen Charakter dekonstruieren.

Fortsetzung folgt...



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