Montag, 5. November 2012

Tag 77 - Charakterrollen: 'der Musiker' (Teil 2)

Melissa Morano B / Foter / CC BY-NC-ND
Die Fortsetzung zu
Tag 76 - Charakterrollen: 'der Musiker' (Teil 1)
Auszug:

"Doch die eigentliche Frage bleibt: was veranlasst mich dazu immer wieder in Momente des Bedauerns zu verfallen und was hält mich davon ab einfach wieder anzufangen, mir ein Instrument zuzulegen und zu spielen? Zu üben und die Musik als das zu nehmen was sie ist, mich darin auszudrücken, selbstreflektiert und selbstehrlich so wie ich es in meinen Texten tue, oder aber auch einfach nur um mich zu unterhalten, um sie zu genießen?Tatsächlich habe ich diese Versuche bereits drei mal unternommen. Das erste Mal ist schon etwa zehn Jahre her, und war wahrscheinlich für mich persönlich das traumatischste Ereignis, das ich tief in meiner Erinnerung vergraben habe und das mich dazu veranlasst hat mich als Musiker einhundert Prozentig abzuschreiben..."

Mein erster Versuch wieder Musik zu machen, beziehungsweise aus der Musik etwas zu machen, mein Leben zu 'machen', war der Versuch Musik zu studieren, auf Lehramt, ein Kompromiss den ich mir vorgestellt hatte, von dem ich dachte er sei eine gute Idee. Vielleicht konnte ich so mein Leben in diesem System mit meiner Vorstellung von mir selbst als Musiker verbinden. Es war reines Wunschdenken, eine diffuse Vorstellung wie viele zu der Zeit, hinter denen ich nie wirklich gestanden habe. Das weiß ich heute und ich wußte es auch damals schon, allerdings funktionierten die Selbstverblendungs-mechanismen, die Verdrängung und die Hoffnung noch sehr gut und ich konnte mich noch sehr geschickt selbst hereinlegen, sozusagen.
Nach dieser Entscheidung habe ich also versucht mich auf diese Aufnahmeprüfung vorzubereiten. Ich war durchaus in der Lage eine annehmbare Performance auf der Gitarre einzustudieren, allerdings war erstens die Musikrichtung klassischen Gitarrenspiels völlig fremd für mich, und zweitens ware es auch erforderlich zumindest ein Stück eines bestimmten Schwierigkeitsgrades auf dem Klavier zu spielen und zwei Gesangsstücke vorzutragen. Ich hatte etwa drei Monate Zeit und habe versucht mich vorzubereiten. Doch schon während der Vorbereitungen wurde mir mehr und mehr deutlich, dass das ganze eher eine provisorische Leistung werden würde, und dass ich eine Menge Glück brauchen würde um dises Prüfung zu bestehen. Es war eigentlich immer meine Art gewesen in solchen Situationen aufzugeben, mich der Prüfungssituation besser gar nicht zu stellen aus Angst mich vollständig zu blamieren und noch unsicherer in meinem Selbstwertempfinden zu werden. Ich habe immer mehr oder wneiger darauf hin gearbeitet, dass mir letztendlich nichts anderes übrig blieb, als mich vor der Prüfungssituation zurückzuziehen. Diesmal wollte ich das aber nicht tun, und auch aufgrund meiner Perspektivlosigkeit für meine berufliche Zukunft und der Unterstützung die ich bereits von meiner Partnerin in Anspruch genommen hatte konnte ich nicht einfach so einen Rückzieher machen. Ich 'stellte' mich also dieser Situation und erlebte diesen Tag als eine der schlimmsten Erniedrigungen meiner bis dahin gelebten Tage. Allein die Wartezeit war unerträglich für mich, zumal ich einer der letzten Prüflinge war und fast den ganzen Tag warten musste, aber das schlimmst war die anderen zu hören. Ich hörte durch die Tür im Warteraum andere Prüfungskandidaten fantastische Leistungen bringen, nahezu perfekt vorgetragene Stücke sowohl auf ihrem jeweiligen Hauptinstrument als auch in allen anderen Bereichen. Und ich wußte dass ich meilenweit davon entfernt war. Ich habe ernsthaft überlegt mich noch am selben Tag dieser Situation zu entziehen, aber irgendwie war meine Wahrnehmung mittlerweile schon so sehr getrübt, dass ich mir tatsächlich noch einredete ich könnte irgendwie da durchkommen. Nach etwa sechs Stunden Wartezeit und immer weiter fortschreitender Unsicherheiten war ich also dran und stellte mich einer Runde von Musiklehrern, Professoren und anderen Musikstudenten. Es begann mit Gesang, dann das Klavierstück, mein Hauptinstrument Gitarre, ein weiteres Gesangsstück und zuletzt ein kurzes Interview. Es dauerte in etwa eine halbe Stunde, gefühlt waren es mindestens zwei. Während der ganzen Zeit habe ich versucht die licke der Prüfer und Beobachter zu meiden, da ich sah wie sie teilweise den Kopf schüttelten und ungeduldig wurden. Dennoch ließen sie mich alles durchgehend vortragen. Ja, ich muss ehrlich sagen es waren wirklich die bis dahin schlimmsten, schwierigsten und niederschmetterndsten dreißig Minuten für mein Ego. Ein harter Schlag gegen die inneren Vorstellungen meiner Selbst, deren Fassaden und Umrahmungen folgenschweren Schaden genommen hatten. Ich war natürlich unheimlich aufgeregt, vor allem auch wegen meiner Unsicherheiten, und der Einsicht dass alle anderen hundert mal besser waren auf allen Instrumenten als ich, aber das war nicht wirklich der Grund für mein 'Versagen', der wahre Grund war, dass ich mir wieder etwas vorgemacht hatte, dass ich versucht habe etwas zu sein, hinter dem ich überhaupt nicht stehe und stehen wollte. Es war einfach ein weiterer, feiger Versuch einen Kompromiß herzustellen, der mir erspart für mich selbst stehen zu müssen und den Weg meiner eigenen, selbstbestimmten Entscheidung zu wählen für den ich dann auch selbst verantwortlich wäre. Ich habe versucht meine Entscheidung dem Druck des 'Systems' zu übertragen und damit auch die Verantwortung für die Konsequenzen. Diese unterschwellige Selbstaufgabe durchzog also auch den gesamten Prozess der Vorbereitung und diente immer wieder als Entschuldigung und Selbstrechtfertigung, wenn es zu schwer wurde, zu anstrengend oder zu unangenehm, was nicht immer bedeutet, dass es nicht wirklich zu schwer war, ich will nicht behaupten dass ich unter der Voraussetzung meiner jetzigen Einsichten eine Chance gehabt hätte es zu schaffen, aber ich hätte sicherlich eine Entscheidung getroffen zu der ich unter allen Umständen hätte stehen können.

Jedenfalls war ich nach dieser Erfahrung von den Illusionen meines 'Musikerlebens' erst einmal 'geheilt', beziehungsweise habe ich in unreflektiertem Trotz, Frust und Verärgerung die Entscheidung getroffen keine Gitarre mehr anzufassen und mich von der Musik völlig zu verabschieden. Das habe ich dann auch getan, und jedesmal wenn ich irgendwann irgendwo eine Gitarre sah, überkam mich ein Gefühl der Abgestoßenheit und ich hatte sogar einen gewissen Zorn gegenüber dem Instrument! Erstaunlich, und für mich heute kaum mehr vorstellbar. Aber so funktioniert der Selbstschutz des Egos, da ist nichts zu schade um das Zielobjekt der Projektion der eigenen Unehrlichkeit zu werden.
Das war der erste Versuch nach dem Scheitern als 'Band', nachdem sich der erste Jugendtraum eines Musikerlebens in nichts aufgelöst hatte, wieder eigenständig Musik zu machen.
Im nächsten Blog werde ich mit dem 'zweiten Anlauf' nach einigen Jahren 'Abstinenz' fortfahren.

Ich vergebe mir selbst, dass ich es mir erlaubt und es zugelassen habe, mein Selbstbild einerseits zu idealisieren in einer Weise in der ich mir selbst am besten gefallen würde und andererseits die eigenen Unsicherheiten über meine tatsächlichen Fähigkeiten und meine tatsächliche Repräsentanz in der Welt zu benutzen um mich vor wahrhaftigen Taten die das was ich mir vorstelle tatsächlich Umsetzen und lebendig werden lassen würden zu bewahren, da ich in diesen Taten befürchten müsste zu erkennen, dass meine Vorstellungen von mir als Person nicht haltbar und vereinbar mit der Wirklichkeit sein könnten.

Ich vergebe mir selbst, dass ich es mir nicht erlaubt und es nicht zugelassen habe mein Leben selbst und eigenverantwortlich zu gestalten indem ich zunächst meine inneren Unsicherheiten und Ängste bearbeite, sie mir vor Augen führe und ihre Ursachen erkenne um nicht in allen Entscheidungen und Vermeidungen von ihnen bestimmtzu werden anstatt Entscheidungen und Vermeidungen an den realen Gegebenheiten und den Prinzipien dessen was für alle das Beste wäre auszurichten.

Ich vergebe mir selbst, dass ich es erlaubt und zugelassen habe mich in dieser Unentschlossenheit treiben zu lassen in der vagen Hoffnung dass die Prinzipien und Zwänge des Systems selbst mich schon auf den Weg bringen würden der für mich das Beste ist, und dass ich auf diesem Weg auch mein Umfeld mit ins Boot geholt und ihre Unterstützung für etwas in Anspruch genommen habe, hinter dem ich nicht stand und das ich nicht wirklich verstanden habe.

Ich vergebe mir selbst, dass ich es mir erlaubt und es zugelassen habe in der Selbstaufgabe und der Unterwerfung unter soziale Zwänge, bzw. Zwangsvorstellungen, nicht erkannt zu haben, dass dies alles nicht dem Leben und vor allem auch nicht meinem persönlichen Leben dienlich ist, und dass ich ein unbegründetes Grundvertrauen in die Systematik der gesellschaftlichen Gemeinschaft hatte und ihm gefolgt bin, anstatt meine inneren Zweifel und Unsicherheiten als die Zweifel und Unsicherheiten meines Selbst gegenüber der eher lebensfeindlichen, vergeistigten Idealisierung des Lebens als eine reine Vorstellung zu erkennen, sie eigenverantwortlich zu dekonstruieren, mir zu vergeben und mich selbstbestimmt neu auszurichten.

Ich vergebe mir selbst, dass ich es erlaubt und zugelassen habe mich mit Hoffnungen als Lebensbestimmung zu begnügen anstatt selbstbestimmt und eigenverantwortlich zu handeln.

Ich vergebe mir selbst, dass ich es mir erlaubt und es zugelassen habe mich in Selbstzweifeln innerlich selbst zu sabotieren und nach außen in Frustration, Zorn und Trotz zu handeln, mir selbst in der direkten Erfahrung der selbstzerstörerischen Konsequenzen unehrlichen Handelns und der Ablehnung der Eigenverantwortlichkeit nicht vor Augen zu halten wo meine Ängste sitzen und wie sie mich bestimmen und einschränken, mich ihnen nicht zu stellen sondern mich selbst zu verurteilen und in selbstmitleidiger Opferrolle die Flucht vor mir selbst fortzusetzen.


Fortsetzung folgt...


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