Samstag, 16. Februar 2013

Tag0006 - Der ent-täuschte Mensch

Gueоrgui / Foter.com / CC BY-NC-SA

Ich habe kürzlich eine Vorlesung von Erich Fromm über Psychoanalyse gehört, deren Titel mir momentan nicht einfällt, aber das spielt keine große Rolle, denn ich kann nur jedem wärmstens empfehlen sich mit Erich Fromm, natürlich unter vielen anderen, zu befassen und seine Beiträge die auch in voller Länge auf YT zu finden sind sind alle sehr lohnenswert zu hören. Erich Fromm formuliert mit einer Wortklarheit auf ungekünstelte Art, die die scheinbar komplizertesten wissenschaftlichen Themen gerade heraus erläutert, ohne dabei an Inhalt und Bedeutung zu verlieren. Im Gegenteil, die menschlichen, psychologischen Zu- und Umstände werden eben durch die reine Erkenntnis in der nahezu unbeeinflußten Weltschau gesehen und ausgesprochen wie sie sind und in der Analyse der sogenannten Wissenschaftlichen Methoden und ihrer mehr oder weniger vorhandenen Erfolge und in ihrem Vergleich mit der tatsächlichen Wirklichkeit werden diese zum Teil sogar ad absurdum geführt.

Doch was mich bei dieser Vorlesung hat aufhorchen lassen und was ich besonders angesichts der Methoden meiner Arbeit, der Analyse der eigenen Psyche, der Persönlichkeit, der menschlichen Bewußtseinsorientierung vor allem auch in der Arbeit mit und durch Desteni, dem I Process und dem Schreiben in selbstehrlicher Selbstoffenbarung, war seine Definition des Wortes 'Enttäuschung'. Was bedeutet dieses Wort, was beinhaltet es und warum ist es in unserer Gesellschaft/Kultur so negativ behaftet? Es lohnt sich sehr, sich dieses Beispiel einmal vorzunehmen, denn die genaue Definition der Worte die man benutzt, die man spricht und denkt, die Analyse ihrer Wirkungen auf einen selbst und natürlich auf das Umfeld mit dem man durch sie kommuniziert, offenbart einem ganze Welten bewußter und unbewußter Programme, ganze Welten emotionaler Verknüpfungen und Gedankenbilder die einen bestimmen, Interpretationen die das Handeln und die Reaktionen beeinflussen, ohne dass man sich jemals ganz klar darüber wäre. Durch die schleichende Umdeutung von Begrifflichkeiten in einer Kultur kann sich ein völlig welt- und realitätsfremdes Bewußtsein vom Selbst und der Existenz entwickeln, das den Menschen zu einem in Geisterwelten verloren umherwandelnden Wesen werden lässt, dass durch diese Entwurzelung in seiner eigenen Selbstidentifikation den Zugang zu seinem eigentlichen Sein in dieser/als diese Existenz vollends verliert und auch durch das Wort, die Bedeutung der Sprache nicht mehr dorthin zurückfindet, weil diese vollends unkompatibel geworden ist mit der Wirklichkeit seines Daseins als lebendiges Wesen.

Doch zurück zu dem Enttäuschten Menschen. Was bedeutet ent-täuschen? Fragt er hier. Was steckt in dem Wort? - Es ist das ENT-Täuschen, also das Wegfallen einer Täuschung. Es kann entweder eine Täuschung durch einen anderen, durch bestimmte Umstände sein, oder eine Selbsttäuschung, wie in dem Fall einer enttäuschten Erwartung, beispielsweise eines erwarteten Erfolgserlebnisses. Und es leuchtet doch ein, dass diese Erwartung eine Selbsttäuschung gewesen ist, eine Projektion einer Vorstellung in die Zukunft, die eingebildete Tatsache, dass diese Zukunft der eigenen Fantasie wenn man so will entsprechen würde. Und im Moment der Erkenntnis des Irrtums, in dem das Erwartete Resultat nicht eintritt, fällt auch die Täuschung plötzlich weg.
Warum aber ist dieses Wort so negativ behaftet? Ich meine, natürlich kann ich hier nur für mich authentisch sprechen, doch in dem Kontext in dem das Wort 'Enttäuschung' in all seinen Konjunktionen benutzt wird kann man davon ausgehen, dass ein Konsens besteht, dass dieses Wort eine eher negative Bedeutung für den Menschen hat, und dass diese Negativität mit dem Erleben des Menschen zu tun hat, der 'ent-täuscht' wird.

Doch in dieser Einsicht ist vieles zu entdecken und über unsere Situation als Menschen zu entlarven, daher finde ich gerade die Neu-Definition dieses Wortes so bedeutsam.
Das 'negative' Erleben ist etwas, das den Menschen zu unendlich vielen Vermeidungstaktiken bewegt. Es ist etwas, das uns so unangenehm geworden ist, dass wir uns von allem abzuwenden versuchen, das unsere Vorstellung von uns selbst und der Welt in etwas unangenehmes wendet. Angenehm empfinden wir hingegen alles, was unseren Sinnen schmeichelt, was eine in unsere Wertvorstellungen passende Interpretation zulässt. Wir haben beispielsweise unheimlich viel Wert in Dinge gelegt, die mit materiellem Erfolg zu tun haben, der Anhäufung von Gütern, der Fähigkeit zu konsumieren. Diese rein künstliche Akzeptanz einer menschlichen 'Natur' führt nun eben dazu, dass das Lebenssystem das aus dieser Konzeption von Werten und Lebensvorstellungen entstanden ist, erhebliche Konsequenzen mit sich bringt, die mittlerweile das Leben und die Freiheit eines großen Teils der Weltbevölkerung zerstören und vernichten. Diese Konsequenzen sind eine wahrhaftige Tatsache. Sie können nicht durch Vorstellungen oder Philosophieren, durch Tagträume und dogmatischen Fanatismus wegdiskutiert werden. Sie können ebensowenig durch aggressive Vorgehensweisen wie militärische Interventionen hinweggefegt werden. Sie sind reale Konsequenzen einer realen Handlungsweise. Doch das Problem ist, dass diese reale Handlungsweise nichts mehr zu tun hat mit unserer Vorstellung von unserer Handlungs- und Lebensweise. Wir haben den tatsächlichen Taten, den Handlungen und deren Konsequenzen andere Bedeutungen in unserem Bewußtsein gegeben, als die, die die Wirklichkeit uns zeigt. Ganz banale Beispiele hierfür sind Begrifflichkeiten wie 'Krieg gegen Terror', was eigentlich nichts weiter ist als 'Terror gegen Terror', 'humanes Töten' was nichts anderes ist als eine Einbildung, ein Glaube an etwas, das man nie wissen kann, das einem aber ein ruhiges Gewissen verpasst und davor bewahrt, den Tatsachen ins Auge zu blicken, 'Entwicklungsländer' ist ein weiteres Beispiel, denn wer einmal etwas genauer hinsieht weiß und erkennt, dass die Länder von denen hier gesprochen wird weit davon entfernt sind, sich zu entwickeln, im Gegenteil, sie degenerieren, denn sie werden benutzt und ausgebeutet, sie sind aufgrund ihere geschwächten Position zur Beute des Systems geworden, zur Ressource um die Maschinerie der Illusionären Verblendungswelt aufrecht zu erhalten und sie können sich niemals aus eigener Kraft aus diesem Würgegriff der sie ausquetscht befreien und das ist auch überhaupt nicht so gewollt.

Und so ist es 'im Kleinen' wenn man so sagen will 'wie im Großen', auch wenn es im Grunde kein Kleines und kein Großes gibt, es gibt nur das eine, die Existenz die alle gleichermaßen sind oder teilen, und darin spielt sich alles ab, miteinander verwoben und verkettet und niemand kann sich davon trennen, lossagen oder die Wirklichkeit einfach 'ausblenden', und dennoch tun wir immer weiter so als ob und glauben auch noch wir würden uns dabei entwickeln, fortschrittlich sein, so dass sich ganz von allein all unsere Probleme irgendwann lösen werden.

Was ist ein 'gerechter Mensch'? fragt er weiter in seinen ausführungen und antwortet sinngemäß: einer, der nicht täuscht, der sich aber auch nicht täuschen lässt. Wenn man die Sinnhaftigkeit und den gesunden Menschenverstand hinter dieser Aussage erkennt, dann kann man fast meinen, dass es keinen gerechten Menschen gibt, jedenfalls nicht in unserer Gesellschaft. Denn wir sind ja nun offensichtlich von Täuschungen, Manipulationen und Fanatsievorstellungen von uns selbst und unserer Rolle in der Welt umgeben und haben diese Idee vollends integriert in unsere Entwicklung, in unsere Persönlichkeit. Es ist ja geradezu ein Grundprinzip unseres Menschenverständnisses, dass wir täuschen müssen, auch wenn wir uns ungern eingestehen, dass wir natürlich im Umkehrschluß ständig getäuscht werden.

So ist also der Begriff 'enttäuscht sein' keineswegs etwas Negatives, er ist auch nicht einmal etwas Positives, denn im eigentlichen sinne ist das Positive ja nur dann von Bedeutung, wenn ein Zustand oder ein Wort bereits negativ geladen wurde, also von diesem Standpunkt ist er eigentlich gerade so positiv, dass das negative neutralisiert wird und was bleibt ist einfach das, was ist, ungefärbt und unbeeinflußt von Illusionen und Vorstellungen. Und somit ist die Enttäuschung eine Befreiung von einer Illusion, die gerade dadurch, dass sie die Illusion zerstört eine unglaublich wertvolle Möglichkeit offenbart, nämlich die der Akzeptanz der Situation, so wie sie wirklich ist, ohne sich weiterhin etwas darüber einzubilden, sich eine Geschichte zu erzählen die die Wirklichkeit an die eigenen Vorstellungen und Bedürfnisse anpasst.

Was macht diesen Moment der Enttäuschung so wertvoll für den Menschen? - Er bildet sozusagen eine Lücke in der dauerhaften Verblendung durch seine Einbildung und befreit die Sicht auf die Welt, die Existenz und das eigene Leben. Und dieser Moment bietet eine Entscheidungsmöglichkeit für die eigene Mündigkeit. Diese Entscheidung nämlich, die Wirklichkeit anzuerkennen, die eigene Situation, den Selbstbetrug zum Anlass zu nehmen sein eigenes Potential von nun an tatsächlich zu leben, und nicht mehr länger sich selbst und anderen etwas vorzumachen. Selbst wenn das bedeutet, dass die einzige Bestimmung die einen von nun an antreibt die ist, die ganze Welt zu verändern, um nicht zu sagen die ganze Welt zu enttäuschen.

Ich empfehle sich für die eigene Befreiung von der Selbsttäuschung Anregungen und Unterstützung zu holen, sich klar zu machen, dass die Entscheidung zu diesem Schritt einen weiteren Schritt hin zur Befreiung des Lebens bedeutet und dass diese Überwindung der 'Bequemlichkeit', der Verlorenheit, der Flucht in die Gedanken- und Fantasiewelten, der freiwilligen Isolation in wahrhaftiger und authentischer Selbstsicherheit und Selbstbestimmung gleich und eins mit allem Leben mündet und es keine Enttäuschung mehr gibt, es sei denn die eigene, eigentliche, in der man sich schritt für schritt vom Dunst der Ignoranz befreit.

Bastian Neumann / Ramstein / Deutschland / 16.02.2013

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