Freitag, 21. Juni 2013

Tag0115 - Das stille Leiden der Kinder - Bullying, Symptom elterlicher Feigheit (Teil 1)

Diego Grez / Foter.com / CC BY


Die Dokumentation „TheBully Project“ war eine Offenbarung für mich, eine Dokumentation die ich mir 'antun' musste, durch die ich mich hindurch kämpfen musste, weil sie in mir so viele emotionale Reaktionen ausgelöst hat. Erinnerungen, Frustration, Verzweiflung, - Wut und Zorn schon gar nicht mehr, denn ich bin mir über die eigentliche Ursache und Herkunft dieser Entwicklungen durchaus im Klaren. Ich bin nicht sicher ob es damit zu tun hat, dass ich seit zwei Jahren selbst Vater bin, aber das spielt auch keine große Rolle. Das Thema Mobbing/Bullying unter Kindern ist ein bewegendes, unheimlich wichtiges und es muss vor allen Dingen Priorität in der Diskussion um Bildungspolitik und Erziehung haben.
Doch nicht nur das, wenn man den Ursachen dieser Entwicklungen auf den Grund gehen möchte muss man noch viel weiter gehen. Ernsthafte Nachforschung in allen Bereichen gesellschaftlicher Problematiken zeigt immer wieder deutlich auf, dass jedes Problem ganzheitliche Ursachen hat, dass man keines auf einen kleinen, engen Bereich begrenzen kann. Daher geht diese Blog-Reihe auf unterschiedliche Ursachenspezifikationen innerhalb einer Kultur und Gesellschaft ein, in der Bullying vielleicht noch kein so großes Thema ist wie in den USA beispielsweise, aber in der die Anfänge wenn nicht im Verborgenen sogar schon gleiche Zustände anzutreffen sind: in der unseren.

Ich habe seit mein Sohn den Kindergarten besucht einige Erfahrungen mit dem Verhalten anderer Kinder machen können und ich darf sagen, dass der große Teil erfreulich offenherzig und liebevoll zu sein scheint. Doch natürlich gibt es auch die erstaunliche Erfahrung, dass selbst drei oder vierjährige Kinder bereits auf oberflächliche Wertungen anderer geprägt sind, wie beispielsweise die der äußeren Erscheinung, ob körperlicher Art oder die Kleidung betreffend. Es sind die abschätzenden Vorgehensweisen der Kategorisierung nach eindeutig gesellschaftlich und medial erzeugten Klischees anzutreffen. Was trägt der Junge? Ist er dick? Hat er auffallende Verhaltensweisen? Ist er „anders“? Die Wahrnehmung der Unterschiede selbst ist hierbei wenig bemerkenswert, was jedoch auffällt ist die Unsicherheit bei der Wertung, oder die Wertung überhaupt, welche bei vielen Kindern überhaupt nicht anzutreffen ist. Die meisten reagieren kaum auf auffallende Unterschiede wie beispielsweise die Hautfarbe, die Körperfülle oder gar die Art der Kleidung. Sie werden wahrgenommen, aber als selbstverständlich, weder positiv noch negativ gewertet. Andere Kinder wiederum denken bereits in Kategorien, belächeln unsicher eine Andersartigkeit die in ihrer angelernten Wertkategorie vielleicht minderwertig oder als lächerlich anzusehen ist. Diese Beurteilung ist es, um die es geht, der Knackpunkt und die Grundlage der Separation im Geiste, der künstlichen Ungleichheit durch Idealismus der hier schon in der grundlegenden Entwicklung des Kindes mit gelegt wird. Das kann auf ganz subtile Weise passieren, denn Kinder sind erstaunlich sensibel wenn es darum geht Reaktionen, Wertungen, Ablehnung oder Zuneigung im Verhalten anderer wahrzunehmen, selbst wenn diese nicht durch Worte explizit ausgedrückt werden. Da liegt die Verantwortlichkeit der Eltern eben diese subtilen Wertungen bei sich selbst zu erkennen und sie nicht an ihre Kinder weiterzugeben, sondern sie bei sich selbst zu überdenken, zu analysieren und sich von ihnen zu befreien, sofern sie natürlich überhaupt ein Interesse daran haben. Es ist das Urvertrauen der Kinder in die Richtigkeit „Erwachsener“ Verhaltensweisen und Entscheidungen, das hier bedacht werden muss und das leider immer wieder schändlich missbraucht wird um sie anzupassen, um sie in ein Systems des Missbrauchs, der Ausbeutung und der Selbstsucht hineinwachsen zu lassen, ohne Rücksicht auf Verluste. Es scheint die Hoffnung vieler zu sein, dass ihr Kind zu den Bullies gehören wird, anstatt zu den Opfern. In extremer Weise zeigen die kommerziellen Medien diesen Missbrauch, der von allen Eltern gleichermaßen gebilligt wird, weil er eben von angesehenen Institutionen unserer Gesellschaft begangen wird und somit dem System dient, also irgendetwas gutes an sich haben muss, und wenn es die Illusion der freien Entscheidung und Entfaltung ist, die letztlich immer als Begründung für das Nichts-Tun herhalten muss. Hier werden die sich entwickelnden, leicht manipulierbaren Kinder gezielt geprägt auf Werte die der Konsumideologie und der vergeistigten Selbstaufgabe dienlich sind, die Illusion eines Einzelkämpfers und Anführers oder eines geheimnisvollen Helden, die Disney Mentalität einer hübschen, geliebten aber vollkommen abhängigen Prinzessin oder aber eines begehrten aber missbrauchten Sex-Idols, die zwanghafte Notwendigkeit den eigenen Selbstwert durch Anpassung an Konsum und Selbstdarstellung zu erlangen und die absolute Unterwerfung unter das Urteil „der anderen“. Bewusste und gezielte Limitierung des Potentials, gezielte Beschränkung der Selbstentwicklung eines Kindes im Namen des Profits. Die neuesten Technologien werden genutzt, millionenschwere Investitionen werden unternommen um diesen Marktsektor „Kind“ auszubeuten um daraus Profit zu schlagen. Und kein Elternteil scheint sich daran zu stören. Warum auch? So ist unsere Welt, das ist unser System, wir können nichts dagegen tun. Die Selbstaufgabe als selbstgerechte Rechtfertigung – eine Illusion. Es ist ein Selbstbetrug und ein Vergehen an den Kindern, an ihrem Vertrauen und ihrer Unschuld. Wenn sie irgendwann werden wie wir, wollen wir darin die Unausweichlichkeit einer solchen Entwicklung bestätigt sehen, anstatt aufzustehen und jetzt unsere Verantwortung zu übernehmen, um die offensichtliche Verantwortlichkeit die auf unseren Schultern lastet auch mit Würde zu übernehmen und dieses System im Namen unserer Kinder, im Namen des Lebens und der Zukunft des Lebens neu zu gestalten.
Die Eltern sind die Zielgruppe der Aufklärung über die Ursachen von Mobbing und Bullying. Nicht die Kinder, denn sie sind tatsächlich Opfer. Die Eltern sind aber Mittäter, denn sie repräsentieren und gestalten ein System dass schon bei Kindern solchen Missbrauch kultiviert. Die Ursachen müssen besprochen werden, nicht nur die Folgen, denn die werden sowieso erlebt, gelebt und sind bittere reale Erfahrung für viele tausend Kinder. Es geht weniger um die Schuldfrage oder Schuldzuweisung, denn auch die Institutionen selbst prägen unsere Kinder auf dieses Verhalten ein, sie tragen eben die Strukturen die wir ihnen geben. Es geht einfach um die offene und ehrliche Aussprache der wirklichen Ursachen, auch da wo sie die grundlegenden Werte unserer Gesellschaft und Kultur (wenn man das so nennen darf) in Frage stellen oder gar ad absurdum führen. Den Mut aufzubringen Glaubenssätze und Ideale aufzugeben zum Wohl der Wahrheit, zum Wohl unserer Kinder und ihrer Zukunft, das sollte eine der leichtesten Übungen für einen mündigen, Vernunftbegabten Erwachsenen sein.

Die Hoffnungslosigkeit und Hilflosigkeit eines Kindes das in dieser Weise den Institutionen überstellt, alleingelassen der scheinheiligen Anstrengung der Lehr- und Aufsichtskräfte überlassen wird die alle nicht einmal eine Ahnung haben was sie tun und wie sie diese Taten verhindern sollen ist unvorstellbar. Sie sind nicht nur auf sich allen gestellt, sie bekommen auch noch nicht einmal ein notwendiges Rüstzeug um sich selbst zu helfen. Im Gegenteil, man bringt ihnen eben genau diese Werte und Verhaltensregeln bei die zu solch katastrophalen Auswüchsen wie der gegenseitigen Zerstörung durch psychische und körperliche Gewalt führen. Man erzieht sie im Sinne einer Highlander-Mentalität in der es nur einen, oder zumindest nur wenige Überlebende geben kann und in der einer den anderen übertrumpfen und ausstechen muss um als erfolgreich und wertvoll anerkannt zu werden. Und sie lernen schnell, sowohl die scheinbaren Sieger, als auch die Opfer, deren Lektion darin besteht, dass sie keine Chance haben, dass sie kein Recht haben zu existieren, dass sie nur geduldet sind und eine Last darstellen. Sie lernen so schnell und gründlich, dass sie sich letztendlich sogar selbst terminieren, dass sie obwohl sie nicht einmal ansatzweise das Leben kennengelernt haben ihrem eigenen ein Ende setzen. Und selbst darin sind sie noch mutiger und zeigen hundertmal mehr Ernsthaftigkeit, Selbstehrlichkeit und Mut als alle Erwachsenen und sogenannten Führungspersönlichkeiten zusammen. Nicht, dass ich den Schritt in den Tod als Mutig bezeichnen möchte, doch wenn ein Kind diesen Ausweg wählt, dann hat das eine Konsequenz und eine Bestimmtheit in sich, die in der durch die Erwachsenen bestimmten Welt so sehr vermisst wird.

Wenn uns nicht einmal das Schicksal unserer eigenen Kinder mehr berührt und dazu führt, dass wir endlich anfangen unsere Welt in Frage zu stellen und unsere Werte zu verwerfen wenn sie ihnen Schaden zufügen, was für eine Hoffnung sollte es da noch in ihren Augen geben?

Fortsetzung folgt...

Der Link zur angesprochenen Dokumentation:  "The Bully Project"

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