Die Dokumentation „TheBully Project“ war eine Offenbarung für mich, eine Dokumentation
die ich mir 'antun' musste, durch die ich mich hindurch kämpfen
musste, weil sie in mir so viele emotionale Reaktionen ausgelöst
hat. Erinnerungen, Frustration, Verzweiflung, - Wut und Zorn schon
gar nicht mehr, denn ich bin mir über die eigentliche Ursache und
Herkunft dieser Entwicklungen durchaus im Klaren. Ich bin nicht
sicher ob es damit zu tun hat, dass ich seit zwei Jahren selbst Vater
bin, aber das spielt auch keine große Rolle. Das Thema
Mobbing/Bullying unter Kindern ist ein bewegendes, unheimlich
wichtiges und es muss vor allen Dingen Priorität in der Diskussion
um Bildungspolitik und Erziehung haben.
Doch nicht nur das, wenn
man den Ursachen dieser Entwicklungen auf den Grund gehen möchte
muss man noch viel weiter gehen. Ernsthafte Nachforschung in allen
Bereichen gesellschaftlicher Problematiken zeigt immer wieder
deutlich auf, dass jedes Problem ganzheitliche Ursachen hat, dass man
keines auf einen kleinen, engen Bereich begrenzen kann. Daher geht
diese Blog-Reihe auf unterschiedliche Ursachenspezifikationen
innerhalb einer Kultur und Gesellschaft ein, in der Bullying
vielleicht noch kein so großes Thema ist wie in den USA
beispielsweise, aber in der die Anfänge wenn nicht im Verborgenen
sogar schon gleiche Zustände anzutreffen sind: in der unseren.
Ich habe seit mein Sohn
den Kindergarten besucht einige Erfahrungen mit dem Verhalten anderer
Kinder machen können und ich darf sagen, dass der große Teil
erfreulich offenherzig und liebevoll zu sein scheint. Doch natürlich
gibt es auch die erstaunliche Erfahrung, dass selbst drei oder
vierjährige Kinder bereits auf oberflächliche Wertungen anderer
geprägt sind, wie beispielsweise die der äußeren Erscheinung, ob
körperlicher Art oder die Kleidung betreffend. Es sind die
abschätzenden Vorgehensweisen der Kategorisierung nach eindeutig
gesellschaftlich und medial erzeugten Klischees anzutreffen. Was
trägt der Junge? Ist er dick? Hat er auffallende Verhaltensweisen?
Ist er „anders“? Die Wahrnehmung der Unterschiede selbst ist
hierbei wenig bemerkenswert, was jedoch auffällt ist die
Unsicherheit bei der Wertung, oder die Wertung überhaupt, welche bei
vielen Kindern überhaupt nicht anzutreffen ist. Die meisten
reagieren kaum auf auffallende Unterschiede wie beispielsweise die
Hautfarbe, die Körperfülle oder gar die Art der Kleidung. Sie
werden wahrgenommen, aber als selbstverständlich, weder positiv noch
negativ gewertet. Andere Kinder wiederum denken bereits in
Kategorien, belächeln unsicher eine Andersartigkeit die in ihrer
angelernten Wertkategorie vielleicht minderwertig oder als lächerlich
anzusehen ist. Diese Beurteilung ist es, um die es geht, der
Knackpunkt und die Grundlage der Separation im Geiste, der
künstlichen Ungleichheit durch Idealismus der hier schon in der
grundlegenden Entwicklung des Kindes mit gelegt wird. Das kann auf
ganz subtile Weise passieren, denn Kinder sind erstaunlich sensibel
wenn es darum geht Reaktionen, Wertungen, Ablehnung oder Zuneigung im
Verhalten anderer wahrzunehmen, selbst wenn diese nicht durch Worte
explizit ausgedrückt werden. Da liegt die Verantwortlichkeit der
Eltern eben diese subtilen Wertungen bei sich selbst zu erkennen und
sie nicht an ihre Kinder weiterzugeben, sondern sie bei sich selbst
zu überdenken, zu analysieren und sich von ihnen zu befreien, sofern
sie natürlich überhaupt ein Interesse daran haben. Es ist das
Urvertrauen der Kinder in die Richtigkeit „Erwachsener“
Verhaltensweisen und Entscheidungen, das hier bedacht werden muss und
das leider immer wieder schändlich missbraucht wird um sie
anzupassen, um sie in ein Systems des Missbrauchs, der Ausbeutung und
der Selbstsucht hineinwachsen zu lassen, ohne Rücksicht auf
Verluste. Es scheint die Hoffnung vieler zu sein, dass ihr Kind zu
den Bullies gehören wird, anstatt zu den Opfern. In extremer Weise
zeigen die kommerziellen Medien diesen Missbrauch, der von allen
Eltern gleichermaßen gebilligt wird, weil er eben von angesehenen
Institutionen unserer Gesellschaft begangen wird und somit dem System
dient, also irgendetwas gutes an sich haben muss, und wenn es die
Illusion der freien Entscheidung und Entfaltung ist, die letztlich
immer als Begründung für das Nichts-Tun herhalten muss. Hier werden
die sich entwickelnden, leicht manipulierbaren Kinder gezielt geprägt
auf Werte die der Konsumideologie und der vergeistigten Selbstaufgabe
dienlich sind, die Illusion eines Einzelkämpfers und Anführers oder
eines geheimnisvollen Helden, die Disney Mentalität einer hübschen,
geliebten aber vollkommen abhängigen Prinzessin oder aber eines
begehrten aber missbrauchten Sex-Idols, die zwanghafte Notwendigkeit
den eigenen Selbstwert durch Anpassung an Konsum und
Selbstdarstellung zu erlangen und die absolute Unterwerfung unter das
Urteil „der anderen“. Bewusste und gezielte Limitierung des
Potentials, gezielte Beschränkung der Selbstentwicklung eines Kindes
im Namen des Profits. Die neuesten Technologien werden genutzt,
millionenschwere Investitionen werden unternommen um diesen
Marktsektor „Kind“ auszubeuten um daraus Profit zu schlagen. Und
kein Elternteil scheint sich daran zu stören. Warum auch? So ist
unsere Welt, das ist unser System, wir können nichts dagegen tun.
Die Selbstaufgabe als selbstgerechte Rechtfertigung – eine
Illusion. Es ist ein Selbstbetrug und ein Vergehen an den Kindern, an
ihrem Vertrauen und ihrer Unschuld. Wenn sie irgendwann werden wie
wir, wollen wir darin die Unausweichlichkeit einer solchen
Entwicklung bestätigt sehen, anstatt aufzustehen und jetzt unsere
Verantwortung zu übernehmen, um die offensichtliche
Verantwortlichkeit die auf unseren Schultern lastet auch mit Würde
zu übernehmen und dieses System im Namen unserer Kinder, im Namen
des Lebens und der Zukunft des Lebens neu zu gestalten.
Die Eltern sind die
Zielgruppe der Aufklärung über die Ursachen von Mobbing und
Bullying. Nicht die Kinder, denn sie sind tatsächlich Opfer. Die
Eltern sind aber Mittäter, denn sie repräsentieren und gestalten
ein System dass schon bei Kindern solchen Missbrauch kultiviert. Die
Ursachen müssen besprochen werden, nicht nur die Folgen, denn die
werden sowieso erlebt, gelebt und sind bittere reale Erfahrung
für viele tausend Kinder. Es geht weniger um die Schuldfrage oder
Schuldzuweisung, denn auch die Institutionen selbst prägen unsere
Kinder auf dieses Verhalten ein, sie tragen eben die Strukturen die
wir ihnen geben. Es geht einfach um die offene und ehrliche
Aussprache der wirklichen Ursachen, auch da wo sie die grundlegenden
Werte unserer Gesellschaft und Kultur (wenn man das so nennen darf)
in Frage stellen oder gar ad absurdum führen. Den Mut aufzubringen
Glaubenssätze und Ideale aufzugeben zum Wohl der Wahrheit, zum Wohl
unserer Kinder und ihrer Zukunft, das sollte eine der leichtesten
Übungen für einen mündigen, Vernunftbegabten Erwachsenen sein.
Die Hoffnungslosigkeit
und Hilflosigkeit eines Kindes das in dieser Weise den Institutionen
überstellt, alleingelassen der scheinheiligen Anstrengung der Lehr-
und Aufsichtskräfte überlassen wird die alle nicht einmal eine
Ahnung haben was sie tun und wie sie diese Taten verhindern sollen
ist unvorstellbar. Sie sind nicht nur auf sich allen gestellt, sie
bekommen auch noch nicht einmal ein notwendiges Rüstzeug um sich
selbst zu helfen. Im Gegenteil, man bringt ihnen eben genau diese
Werte und Verhaltensregeln bei die zu solch katastrophalen Auswüchsen
wie der gegenseitigen Zerstörung durch psychische und körperliche
Gewalt führen. Man erzieht sie im Sinne einer Highlander-Mentalität
in der es nur einen, oder zumindest nur wenige Überlebende geben
kann und in der einer den anderen übertrumpfen und ausstechen muss
um als erfolgreich und wertvoll anerkannt zu werden. Und sie lernen
schnell, sowohl die scheinbaren Sieger, als auch die Opfer, deren
Lektion darin besteht, dass sie keine Chance haben, dass sie kein
Recht haben zu existieren, dass sie nur geduldet sind und eine Last
darstellen. Sie lernen so schnell und gründlich, dass sie sich
letztendlich sogar selbst terminieren, dass sie obwohl sie nicht
einmal ansatzweise das Leben kennengelernt haben ihrem eigenen ein
Ende setzen. Und selbst darin sind sie noch mutiger und zeigen
hundertmal mehr Ernsthaftigkeit, Selbstehrlichkeit und Mut als alle
Erwachsenen und sogenannten Führungspersönlichkeiten zusammen.
Nicht, dass ich den Schritt in den Tod als Mutig bezeichnen möchte,
doch wenn ein Kind diesen Ausweg wählt, dann hat das eine Konsequenz
und eine Bestimmtheit in sich, die in der durch die Erwachsenen
bestimmten Welt so sehr vermisst wird.
Wenn uns nicht einmal das
Schicksal unserer eigenen Kinder mehr berührt und dazu führt, dass
wir endlich anfangen unsere Welt in Frage zu stellen und unsere Werte
zu verwerfen wenn sie ihnen Schaden zufügen, was für eine Hoffnung
sollte es da noch in ihren Augen geben?
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