Ich habe seit sehr vielen Jahren ein
Problem mit Insekten, eine Angst vor verschiedenen Insektenarten, die
ich mir selbst immer mit der Angst vor Schmerzen, also vor einem
Stich oder einem Biß begründet habe. Allerdings ist diese Angst die
mich auch körperlich überfällt in der Gegenwart eines solchen
Insekts nicht nur auf Insekten beschränkt die tatsächlich stechen
oder schmerzhaft beißen können, sondern auch auf völlig harmlose,
wie zum Beispiel Nachtfalter.
Ich erinnere mich dass ich einmal
abends als es schon dunkel war, mit mehreren Freunden an der
Eingangstür eines Gebäudes stand, ich war etwa zwölf oder
dreizehn, einige von uns waren drinnen, auch ich, und andere standen
draußen. Da es sich um eine Glastür handelte und der Innenraum hell
beleuchtet war, sammelten sich an der Scheibe der Tür mehrere kleine
Falter. Einige der Leute die draußen standen fingen an, die Falter
gegen die Scheibe zu zerquetschen, und mit ihren Überresten Spuren
an der Scheibe zu ziehen. Ich stand mit anderen drin und konnte also
genau zusehen, wie die Jungs diese Falter amüsiert lachend gegen die
Scheibe drückten bis sie aufplatzten und wie sie dann den Leib am
Glas zerrieben. Ich fand diese Situation äußerst abstoßend und der
Moment verfolgte mich als Bild verbunden mit der Emotion der Abscheu
und der Ohnmacht, auch des 'allein seins', da ich mir vorkam als sei
ich der einzige gewesen der nicht amüsiert war bei diesem Geschehen.
Heute weiß ich, dass viele, vor allem Kinder die sich verunsichert
fühlen und den Schutz der Gruppe suchen, aus sogenanntem
Gruppenzwang mitmachen und mitlachen, doch was spielte das damals für
eine Rolle. Dieses Bild jedenfalls verfolgte mich lange Zeit und
offensichtlich ist es auch jetzt noch präsent. Diese Angst vor
Faltern ist soweit ich mich erinnern kann seit diesem Zeitpunkt stark
gestiegen, es mag sein, dass ich sie auch vorher schon nicht
besonders mochte, aber ich war nie geneigt ihnen etwas anzutun,
geschweige denn ihnen überhaupt zu nahe zu kommen.
Ich habe mich nie wirklich mit dieser
Angst auseinandergesetzt, ich habe einfach in den Situationen
versucht den Kontakt zu vermeiden, bin ausgewichen, oder habe mich
nach drinnen verzogen. Manchmal wenn ich einen solchen Falter in
meiner Wohnung entdeckt hatte, konnte ich nicht zur Ruhe kommen oder
schlafen bis ich sicher war, dass er sich nicht mehr im Zimmer
befand. Manchmal habe ich sie unter einem Glas gefangen, was mich
schon viel Überwindung gekostet hat, manchmal habe ich sie mit
Licht aus dem Zimmer gelockt und die Tür verschlossen. Getötet,
also direkt erschlagen habe ich keine, weil ich es nicht wollte und
auch nicht konnte. Ich war aber auch an der einen oder anderen
Tötungsaktion beteiligt, wenn ich beispielsweise eine meiner Katzen
beiläufig auf den Falter aufmerksam gemacht habe...
Aber worüber ich hier schreibe ist ein
besonderes Ereignis, bei dem ich ganz bewußt aus reiner Angst,
vollkommen unnötigerweise ein besonders großes Exemplar dieser
Falter langsam habe sterben lassen. Es ist etwa zehn Jahre her, ich
lebte alleine in einer kleinen ein Zimmer Wohnung in Kassel. Ich war
gerade am Saubermachen in dem kleinen Flur dieser Wohnung. An der
Wand hing eine halbrunde Beleuchtung aus Glas, nach oben offen,
geformt wie eine halbe Schale. Plötzlich spürte ich wie in diesem
engen Flur ein wirklich dicker, fast schwarzer Falter an meinem Kopf
vorbeiflog. Ich zuckte sofort unwillkürlich zusammen, ließ alles
fallen was ich in den Händen hatte und spürte wie sich meine
Nackenhaare aufstellten. Kurz: ich geriet in eine kleine bis mittlere
Panik.
Völlig überwältigt von meiner Angst,
unfähig vernünftig zu reflektieren was ich hier tue, was ich tun
sollte, weil ich mich nie selbstehrlich und eigenverantwortlich mit
meiner Angst auseinandergesetzt hatte, fand ich keine Lösung die
ohne dem Falter Schaden zuzufügen für mich persönlich die
Situation 'bereinigt' hätte.
Ich hatte den Staubsauger bereitstehen
und überlegt ob ich ihn wohl einfach wegsaugen sollte. Doch ich
hatte immer noch ein schlechtes Gefühl dabei, ihn zu töten. Das
Fenster aufmachen brachte auch nichts, da es wahrscheinlich ewig
gedauert hätte bis er da hinausgeflogen wäre. Dann flog er auf
einmal von oben in die Schale der Wandlampe die ich eben beschrieben
hatte und flatterte kurz darin herum, und dann wieder heraus. Mir kam
der Gedanke dass ich ihn darin einschließen könnte, wenn ich
einfach etwas oben auf die Lampe legen würde soald er hineinfliegt.
Also machte ich die Lampe an, um ihn hineinzulocken. Das
funktionierte prompt und ich nahm ein Buch und legte es oben auf die
Lampe. Dann schaltete ich die Birne wieder aus, denn ich wollte ja
eigentlich nicht, dass der Falter durch mich zu Schaden kommt. Es war
wie gesagt ein sehr großer Falter und ich konnte ihn gut durch das
milchige Glas der Lampe umherflattern sehen, und vor allem konnte ich
ihn auch hören, wie er immer wieder gegen den Buchrücken und das
Glas stieß, herunterfiel, sich berappeln musste um dann wieder gegen
die Glaswände zu flattern. Alleine dieses Geräusch bereitete mir
Unbehagen, ich musste immer wieder nachsehen ob er noch gefangen war
und jedesmal zuckte ich zusammen wenn er sich in d´seiner Falle
bewegte und versuchte zu fliegen.
Ich war immer mehr abgestoßen und
angeekelt von dem Anblick, von dieser ganzen Situation, und
eigentlich von mir selbst, aber dazu komme ich später.
Ich wußte irgendwann nicht mehr
weiter, ich war so sehr im Wahn meiner Ängste, dass ich an nichts
mehr denken konnte als an diesen Falter. Ich empfand ein Gefühlschaos
aus Scham, Mitgefühl, Ekel und eben ängstliche Hilflosigkeit.
Irgendwann sagte ich mir, dass ja der Punkt kommen muss für mich
eine Entscheidung zu treffen, also entweder den Falter wieder
freizulassen, oder aber ihn dort in der Lampe verenden zu lassen, was
bedeuten würde, dass er dort verbrennen wird, spätestens dann wenn
ich die Lampe abends anmachen muss. Doch ich konnte mir kaum
vorstellen das einfach so beiläufig mit anzusehen wenn ich auf dem
Weg ins Bad nachts oder abends das Licht anschalten würde. Also
konnte diese 'Lösung' dieses Problems als das ich es wahrgenommen
habe nur jetzt sofort herbeigeführt werden. Ich konnte mir nicht
vorstellen, diesem Falte noch irgendwie näher zu kommen, ihn
womöglich zu berühren oder ihn aus der Nähe zu sehen, also kam es
für mich aufgrund meiner diffusen Ängste nicht in Frage ihn in
einem Tuch, in der Hand oder einem Gefäß aus der Lampe
hinauszubefördern. Ich war dazu einfach nicht in der Lage, bzw.
nicht gewillt dazu. Also musste ich mich - und mit musste meine ich
nicht, dass ich keine andere Wahl gehabt hätte, es war einfach eine
Ausschlußentscheidung auf der Basis dessen, was ich mir selbst als
'Persönlichkeit' erlaubt und akzeptiert habe zu sein, einschließlich
der Akzeptanz meiner Angst und der resultierenden Konsequenzen - für
die zweite 'Lösung' meines selbstgeschaffenen Problems enscheiden,
auch wenn es mir nicht leicht gefallen ist, denn zumindest in
Gedanken glaubte ich noch ein 'guter' und 'gewissenhafter' Mensch zu
sein...
Ich ging dann also in den Flur, sah den
Falter am Boden der Lampe sitzen, und schaltete das Licht ein. Er
blieb sitzen, ich dachte 'vielleicht ist er schon tot...' und es
beschlich mich die verzweifelt lächerliche Hoffnung, dass ich mir
vielleicht einreden könnte dass er an Altersschwäche gestorben sei
noch bevor ich mich zu dem mörderischen Plan hatte hinreißen
lassen. Doch dann zuckten seine Flügel plötzlich und er versuchte
wieder nach oben zu fliegen, stieß vor die helle Birne und fiel
flatternd wieder auf den Boden. Immer wieder flog er los, nur um
wieder gegen das Buch und dann gegen die jetzt wohl schon heiße
Birne zu fallen. Ich war letztlich sogar zu feige mir den Todeskampf
dieses Falters mit anzusehen und verließ den Flur. Erst sehr viel
später als ich auch die Geräusche nicht mehr hören konnte ging ich
zurück, sah dass sich nichts mehr bewegte in der Lampe und schaltete
das Licht aus.
Erst am nächsten Morgen ging ich näher
zur Lampe. Der Falter lag auf dem Boden der Lampe als würde er nur
so da sitzen, ungefähr so wie er dort saß als ich das Licht
eingeschaltet hatte. Ich schaltete das Licht noch einmal ein und aus,
um zu sehen ob sich nicht doch noch etwas regen würde. Erst dann
nahm ich vorsichtig das Buch von der Lampe.
Ich kam mir vor wie der Henker der den
Elektrischen Stuhl eingeschaltet hat. Ich fühlte mich mies.
Aber warum? Wegen des Falters? Ich
fühlte mich eigentlich nur deshalb mies, weil das, was ich da getan
hatte, absolut unvereinbar war mit dem Bild, das ich als
Persönlichkeit eigentlich von mir hatte. Ich, ein Tierlieber Mensch,
Vegetarier, Aktivist (ich spreche wie gesagt von mir vor etwa 15
Jahren), Freiheitsliebend, und dann eine so durchtriebene und
hinterhätige Tötung eines Insekts in einer hilflosen und
ausweglosen Situation. Wie sollte ich das wieder mit mir und meiner
Selbstwahrnehmung vereinbaren? Das bereitete mir im Grunde, auch wenn
es mir nicht direkt bewußt war, die Bauchschmerzen. Und der Grund
warum ich das nicht erkennen wollte, war die Angst vor meiner
Eigenverantwortlichkeit, und zwar nicht nur der für das unnötige
und doch recht sadistische Töten dieses Falters, sondern die
Verantwortlichkeit für die Konsequenzen die aus meiner Feigheit vor
der Bearbeitung und Überwindung meiner irrationalen Ängste als
Mensch herrühren. Die Eigenverantwortliche Entscheidung gerade zu
stehen für alle selbstbestimmten Entscheidungen, auch jenen, die
Ängste zulassen und die sie unkontrolliert wuchern und mich und mein
Verhalten bestimmen lassen. So ist es mit mir und mit dem Mensch an
sich, es ist genau dieses Problem dass wir unbegründet
Verhaltensweisen akzeptieren und erlauben, die aus irrationalen
Ängsten aufgrund früherer, ganz persönlicher Prägungen entstanden
sind, und die uns nun bestimmen anstatt dass wir als bewußte Wesen
uns zur Selbstbestimmung entscheiden und diese Ängste,
Befürchtungen, irrationalen gedanklichen Prophezeihungen und so
weiter eigenständig bearbeiten, zurückverfolgen und transformieren,
daraus lernen, damit wir hier und jetzt im Leben, in jedem Moment
wirklich frei und unbeeinflusst, selbstbestimmt und eigenständig
entscheiden können wie wir handeln und woran wir unser Handeln
ausrichten, damit wir auch selbstehrlich und vor dem Leben jederzeit
dafür gerade stehen können.
Ich werde in mindestens einem weiteren
Blog noch näher auf die Zusammenhänge die sich mir in dieser ganz
bestimmten Beziehung zu Insekten und meiner eigenen 'Geschichte'
durch das Schreiben offenbaren eingehen und auch die Selbstvergebung
und Selbstkorrektur anschließen.
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