Montag, 25. März 2013

Tag0043 - Wie lernt man soziale Interaktion? Teil 1





Ich kann in dieser Sache aus eigener Erfahrung reichlich berichten, denn ich war Jahre meines Lebens ein Opfer meiner eigenen Selbstbewertung und der selbstauferlegten Unfähigkeit soziale Kontakte zu knüpfen und zu pflegen. Diese Selbstprogrammierung, die natürlich unterstützt wurde durch die grundlegend heuchlerische Wertstruktur unserer Erziehungs- und Bildungssysteme, ist im Grunde ein Zeichen für einen Restbestand an gesundem Menschenverstand, denn die Unfähigkeit an den vorgegebenen sozialen Strukturen ernsthaft, mit der notwendigen Motivation und dem Eifer teilzunehmen deutet darauf hin, dass man sich mit dem gestellten und heuchlerischen Charakter, mit der Grundlage der sozialen, gesellschaftlichen und zwischenmenschlichen Systeme in denen wir leben noch nicht ganz abgefunden hat, dass man sich nicht sicher ist ob man es richtig verstanden hat, dass man nicht weiß, wie genau es funktioniert oder dass man eben einfach glaubt unfähig zu sein, in diesem Spiel mitzuspielen.

Die Schlussfolgerungen, die ganz persönlichen Urteile sind es dann, auf die es ankommt. Wie gehe ich mit dieser Unsicherheit um? Und eben genau da besteht die Gefahr,  dass man sich akzeptiert als ‚eine Persönlichkeit‘, die eben entweder schüchtern, einzelgängerisch oder unfähig zu den einfachsten, natürlichen Handlungen ist. Dabei ist genau das der Knackpunkt, dass die soziale Interaktion, die Systeme des Umgangs miteinander, eben alles andere als natürlich sind. Überall will man uns, bzw. sich selbst weismachen, dass der Mensch in den heutigen Strukturen in denen er lebt, und seien sie noch so absurd, noch so lebensfeindlich und schädlich,  nur die grundlegend natürlichen Prinzipien des Lebens und seiner Entwicklung repräsentieren würde. Nichts aber könnte weiter von der Wahrheit entfernt und gleichzeitig für den Menschen so schwer zu akzeptieren sein. Die einfache Akzeptanz dieser dogmatischen Annahme bedeutet eben Alternativlosigkeit und entbindet damit gedanklich von der Verantwortung nach solchen zu suchen, sich zu engagieren und Dinge zu verbessern. Das ist einer der Gründe, warum wir Menschen es in all den Jahrhunderten nicht geschafft haben die grundlegenden gesellschaftlichen Probleme auch nur annähernd in den Griff zu bekommen. Wir haben all unser schöpferisches, kreatives Potential auf die Bekämpfung und Unterdrückung von Symptomen verwendet und niemals ernsthaft die grundlegenden Akzeptanzen unserer Selbstwahrnehmung, die anthropomorphen Dogmen unserer eigenen Geschichte und der Geschichte der Menschheit selbst in Frage gestellt und auf den Prüfstand des gesunden Menschenverstandes gehoben. Nicht etwa, weil wir dazu nicht in der Lage wären oder darauf nicht kommen würden, sondern weil wir in zutiefst gläubiger, religiöser Manier die Infragestellung unserer eigenen Funktionsweise und die Überlegung ob wir selbst unsere ‚Natur‘ schaffen und gestalten können, bzw. das schon längst tun, als eine moralische Unmöglichkeit betrachten. Es ist als hätten wir eine mentale Sperre in unserem Bewusstsein die uns vor der Selbsterkenntnis und der eigentlichen Selbstbestimmung bewahren soll. Aber wir alle wissen es im Grunde längst. Wir erleben es bei uns selbst im Umgang mit anderen, anhand der manipulativen Methoden die wir anwenden, der wechselnden Gesichter die wir auflegen, wir erfahren es bei anderen, wenn unsere Erwartungshaltungen enttäuscht werden, wenn ihr Verhalten plötzlich nicht mehr zu unserer ganz persönlichen Agenda passt, wir kennen die Maskerade des Alltags alle und beherrschen sie auch alle. Doch scheinen wir akzeptiert zu haben, dass diese Art der Manipulation notwendig sei für den sozialen Umgang und dass sie der Natur des Menschen auch entspräche. Es tut mir leid da enttäuschen zu müssen, das ist sicher nicht der Fall, es sei denn, ich bin kein Mensch. Soll solch ein Verhalten die Natur des Menschen und notwendig für sein überleben sein, so ist das so, weil er diese Natur selbst kultiviert und darin seinen selbst geschaffenen Systemen angepasst hat. Und es hat vielmehr den Anschein, dass die Systeme die ihn abhängig gemacht haben, das Geldsystem, die Konsumphilosophie, der Kapitalismus und die gesellschaftlichen Normen und Zwänge viel mehr ein Resultat dieser Akzeptanz der  manipulativen Oberflächlichkeit und der darunter brodelnden Systeme der Angst, der Unsicherheit, der Selbstsucht, des Argwohns und Misstrauens als Natur des Menschen.

Wir haben also die Wahl zu versuchen an diese Natürlichkeit der gegenseitigen Verblendung aus Ängstlichkeit zu glauben, indem wir unsere Reaktionen, unsere inneren Gefühle, die Überwältigenden körperlichen Reaktionen in Angst- und überschwänglichen Glücksmomenten als das und ausschließlich das annehmen, was uns ausmacht, was wir sind und uns dabei den systematischen Prinzipien einer Kommunikation zu  unterwerfen, auf deren Spracherwerb wir einen Großteil unserer Entwicklung und der unserer Kinder verwenden und durch die wir uns immer wieder in Konfliktsituationen bringen die dann in der inneren, energetischen Aufladung eben diese Empfindungsmomente triggern und bewirken, welche wir so sehr herbeisehnen, dass wir dafür bereit sind unser Leben und unsere Selbstbestimmung aufzugeben, weil wir glauben darin, in diesen Erlebnismomenten unsere Identität zu finden und zu sein. Gemeint sind die programmierten Empfindungsmuster von Sympathie, Verliebtheit, Abneigung, Hass, Empörung, beleidigt sein usw.

Wir haben aber auch eine andere Wahl, nämlich die, diese Systeme und Strukturen zu durchschauen, sie vor allem bei uns selbst, aber in der Konsequenz eben auch bei allen anderen zu erkennen, zu verstehen wie sie entstehen, welcher Verzweiflung sie entspringen und welche Ängste sie zu verbergen suchen. Wir können feststellen, wenn wir Selbstehrlichkeit üben, wann wir selbst und wann andere offen und aufrichtig sind und warum sie es in aller Regel eben nicht sind.  Doch diese Entscheidung muss vollständig, aufrichtig und durch den Willen zum Leben motiviert sein, um tatsächlich eine selbstbestimmte Entscheidung zu sein. Sie muss im Bewusstsein der Verantwortlichkeit in Einheit und Gleichheit für alles Leben getroffen werden, unter Berücksichtigung der Konsequenzen, der Wirkung auf das Leben. Denn die Versuchung als die auf Angst, Argwohn und Selbstsucht geprägte Persönlichkeit ist groß, die Oberflächlichkeit und das Verständnis für die Fassadenhafte und heuchlerische ‚Natur‘ des menschlichen Bewusstseins in unserer Welt zur Erfüllung der eigenen Interessen manipulativ zu benutzen. Es gibt wahre Meister darin, die man dann, wenn man ihre Streifzüge Aufdeckt ‚Soziopathen‘ nennt. Man behandelt sie dann als Kranke Menschen und das was sie taten oder tun als moralisch verwerflich und unmenschlich. Doch auch hier zeigt sich wieder die heuchlerische Grundhaltung des Menschen in diesem Zustand, in dieser Zeit, denn im Grunde haben sie lediglich mehr verstanden als der Durchschnitt, haben die Verhaltensweisen die sie erlernt und erfahren haben sozusagen zu ihrer persönlichen Profession gemacht, sind aber nicht frei genug, haben nicht den letzten Schritt zu Eigenverantwortlichkeit, Selbstehrlichkeit und Selbsterkenntnis gewagt der sie von dem Zwang des selbstsüchtigen Handelns und dem Teufelskreis der immer wiederkehrenden Verlangen nach mehr Bewusstseins reizen und mehr persönlicher Erfüllung hätte befreien können. Es ist gar nicht so sehr der Fall, dass diese Menschen kein oder weniger Mitgefühl haben als andere, sie haben ich selbst vielmehr eingestanden, dass es in dieser Welt, in dieser Gesellschaft und dieser Kultur  irrelevant ist, da niemand tatsächlich Mitgefühl zu haben scheint, sondern es nur heuchelt. Die Wirklichkeit der unnötigen Ungleichheit, der Armut und des Hungers, der Kriege und Gewalttaten gegen Schutzlose beweisen diesen Standpunkt recht deutlich.

Die Entscheidung ist also nur dann wirklich entschieden und nicht nur eine weitere Schicht eines immer noch systemkonformen Egos, wenn sie in Selbstehrlichkeit und mit wahrhaftigen dem Willen zur Umsetzung, zur  lebendigen Transformation der eigenen Fassade und der eigenen Ängste, der Konditionierten Gedanken- und Wertstrukturen durch das eigene Leben, durch den eigenen Leib  getroffen wird. Ohne Hintergedanken, ohne Selbstsüchtige Motive, ohne den kleinsten Hauch von Persönlichkeits-Ideologie. Der Schritt dorthin muss klar definiert sein, die Konsequenzen und notwendigen Folgeschritte ebenfalls. Es muss klar sein, dass diese Selbstarbeit, diese Dekonstruktion ein schwieriger und langer Prozess ist, dass es hier nicht um eine ‚Heldentat‘ geht, sondern dass man hier die eigenen Abgründe erforschen muss, ohne Garantie auf Erfolg, ohne Aussicht auf Entlohnung in irgendeiner Form. Kein Nirvana, kein Himmel wird hier versprochen. Keine Glücksgefühle und keine Wonne. Den Himmel und die Vorstellungen paradiesischer Zustände können nur durch diese Selbsthäutung von Menschen eigenhändig und eigenständig hier in dieser Existenz realisiert werden. Eigenständigkeit und Selbstbestimmung sind hier zunächst die einzigen persönlichen Errungenschaften die in Aussicht stehen. Doch dass es sich dafür lohnt alles zu geben und alles aufzugeben was man bisher an sich geschätzt hat, alles in Frage zu stellen was einem bisher Wervoll erschien und es auf seine Konsequenzen und motive zu prüfen, sich selbst am Leben zu messen, das kann jeder bestätigen der auch nur die ersten paar Schritte in diese Richtung unternommen hat.

Ich habe also fast mein ganzes Leben in dem Glauben verbracht, ich sei unfähig soziale Kontakte zu knüpfen, weil ich mich einfach für die meisten sozialen Rituale des Kennenlernens und der Freundschaftspflege nicht erwärmen konnte. Ich war von vielen dieser Rituale sogar angewidert, vor allem von denen der Partnerwerbung oder denen der jugendlichen Partylaune. Ich habe irgendwann für mich akzeptiert, dass ich ein Außenseiter bin, und mir in innerem Frust eingeredet, dass das an meiner Komplizierten Persönlichkeit, also im Grunde an meiner Überlegenheit liegen müsse. Natürlich, heute bereue ich keinen Moment dieser Zeit mehr und auch nicht, dass ich solche Abneigungen verspürt habe. Aber ich verstehe mich natürlich heute besser und auch die Gründe und eigentlichen Motive. 

Die Frustreaktionen jedenfalls haben mich nicht unbedingt weiter gebracht und die Isolation die immer weiter fortschritt auch nicht. Natürlich gab es für mich keinen Weg ‚zurück‘ und im Lauf der Jahre konnte ich durch meine vorrangige Beobachterrolle  viel mehr dieser sozialen Rituale durchschauen als das vielleicht andere konnten, die aber eben in ihrer Anwendung besser waren als ich. Das verbaute mir allerdings die Möglichkeit diese Fähigkeiten tatsächlich gekonnt zu internalisieren, weil ich umso abgestoßener von ihnen war, je mehr ich sie verstand.

Verstehen und Anwenden sind also zwei verschieden Dinge. Und man muss immer gekonnte Manipulative Strategien anwenden, wenn man in unserer Welt der Menschen vorankommen oder auch nur einfach vor sich hin leben will. Man muss andere Überzeugen, obwohl man keine Argumente hat, man muss Freundlich zu Menschen sein auf eine Art, die einfach nur geheuchelt ist und  die auch das Gegenüber nicht wirklich als Freundlichkeit versteht, sondern als eine Form der Unterwerfung, man muss Dinge über sich verschweigen um notwendige Wege zu beschreiten, wie beispielsweise einen Arbeitsplatz bekommen und man muss seinem Partner vormachen dass man niemals einen anderen Menschen begehren könnte außer ihn. All das und noch viel mehr in gegenseitigem Einverständnis des offenen Betrugs, der offensichtlichen  Heuchelei. Doch das ist die Welt, die wir ‚entwickelt‘ haben. Das ist die ‚Natur‘ die wir uns selbst angeeignet haben. Wir könnten auch anders. Wir können ehrlich sein, wir können offen sein. Die Frage ist doch, was haben wir zu verbergen? Wo sind wir uns selbst gegenüber nicht ehrlich?  Warum denken wir es nötig zu haben uns selbst und anderen etwas vor zu machen?

Auf diese Fragen und mehr gehe ich in meinem nächsten Post zu diesem Thema ein.

Bastian Neumann / Ramstein / Deutschland / 25.03.2013




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