Ich habe zu meiner eigenen Freude seit einigen Wochen wieder
mit dem regelmäßigen Laufen angefangen, nachdem ich etwa ein Jahr lang mehr
oder weniger pausiert hatte. Das heißt, hin und wieder habe ich lockere Läufe
durch den Wald gemacht, habe dann zwei drei Tage später noch einen gemacht und
dann wieder für mehrere Wochen nichts. Vor 1 ½ Jahren etwa war ich noch nahezu
jeden zweiten Tag mindestens acht bis zehn Kilometer unterwegs. Mir hat das
Laufen immer sehr gut getan und das ist auch jetzt wieder der Fall. Ich bin
auch sehr überrascht gewesen, wie viel von dem Training noch ‚übrig‘ war
sozusagen, vor dem ersten Lauf hatte ich nämlich ehrlich gesagt einige Bedenken
und habe erwartet ziemlich enttäuscht zu sein. Doch der Körper ist wahrlich
eine erstaunliche Biomaschine mit faszinierenden Fähigkeiten, selbst wenn man
ihn eine lange Weile ruhen lässt. Hinzu kommen natürlich noch meine
konditionierten und aufgrund der verbreiteten Normen einprogrammierten Bedenken
wegen meines Alters. Anfangs hatte ich noch die Gedanken, dass es sich doch für
mich eigentlich nicht mehr lohnen würde noch zu laufen und zu trainieren, da
ich mit 37 nicht mehr viel Erfolg erwarten könnte und der Aufwand mich eher
kaputt machen würde als gesünder oder sportlicher. Natürlich ist das absoluter Blödsinn,
wie die meisten gesellschaftlich akzeptierten Dogmen und Normen vor allem im
Bezug auf das menschliche Alter. Das lässt sich auch relativ leicht erklären,
da wir in einer Gesellschaft leben, in der der Mensch sich hauptsächlich über
seine Vorstellungen und Gedanken ‚Unterhält‘ und Definiert, da er die meiste
Zeit mit funktionieren, mit vorgefertigten Programmabläufen beschäftigt und von
Grund auf eben vorrangig auf körperliche Faulheit ausgelegt ist. Da passt es
einfach nicht ins Selbstbild, dass man sich mit über dreißig Jahren noch in
solchem Maße bewegt. Ich finde es sowieso immer erstaunlich zu sehen, wie
normal es für uns geworden ist, uns so wenig wie möglich zu bewegen. Nicht nur
im Alltag, durch Rolltreppen, Autos und alle dem, sondern in den kleinsten
alltäglichen Bewegungsabläufen haben wir sogenannte technologische ‚Errungenschaften‘
die uns Bewegungsabläufe abnehmen. Die Fernbedienung zum Beispiel, das
automatische Garagentor, die automatischen Fensterladen, und sogar die
automatisch schließende Kofferraumklappe, die mich am meisten beeindruckt hat.
Und all diese Dinge nennen wir dann fortschrittlich und sehen sie als Luxus.
Bequemlichkeit, körperliche Faulheit und Eintönigkeit scheint ein oberstes
Prinzip dieses Fortschrittsdenkens zu sein. Außer natürlich es handelt sich um
Erwerbsarbeit, irgendeinen unterbezahlten Handwerksjob beispielsweise,
Maschinen reinigen, Bauarbeiten, Straßenbauer, Reinigungskraft etc., die sollen
sich natürlich bewegen – aber eben nur im Rahmen der ‚sinnvollen‘ und bezahlten
Tätigkeit.
Hier geht es mir zunächst um die Erfahrung meiner inneren Programmierungen
der Wettkampfgedanken. Ich habe mit etwa dreißig Jahren erst mit dem Laufen
angefangen. Davor war ich den Ausdauersportarten gegenüber eher ablehnend
eingestellt. Ich möchte hier nicht schon wieder auf den Grund für diese
Entscheidung eingehen und nenne daher nur den, dass ich mit dreißig mit dem
Rauchen aufgehört habe und ein Gegenbeispiel für die weitverbreitete Annahme
geben wollte, man würde zwingend zunehmen, wenn man das Rauchen aufgibt.
Ich hatte mich also zu dieser Zeit unter Aufbringung
äußerster Selbstdisziplin nach und nach zu einem ganz passablen hobby-runner
gemausert, so dass mir das Laufen sogar richtig Spaß machte, und ich es
genießen konnte. Allerdings entwickelte sich die Sache langsam aber sicher zu
einer Art Sucht, eine Abhängigkeit die sich vorrangig auf meine Stimmung
auswirkte. Ich hatte feste Lauf- und Regenerationszeiten und wenn mir da etwas
dazwischen kam und ich beispielsweise mal einen Tag nicht laufen gehen konnte,
dann war ich gedanklich ständig damit beschäftigt zu überlegen wann ich das nachholen
könnte und dass ich mich jetzt nicht so gut fühlen müsste, weil ich eben nicht
laufen war wie geplant. Das war ein schleichender Prozess der mir völlig die
Kontrolle und auch die Freude an der Sache genommen hatte. Ich hatte nur noch die Motivation mir
meine Disziplin zu beweisen und die Erfolge wahrzunehmen dadurch dass ich mich
körperlich fit und gesund fühlte. Es war gar nicht so sehr die Zeit, die
Laufleistung die mir Sorgen machte, sondern das Laufen selbst, die Stunde die
ich ganz für mich sein konnte, mit meinem Körper, den Atem und das Herz zu spüren,
die Hitze des Körpers, im Wald, auf dem Feld, auf der Straße, wo auch immer.
Als ich dann bemerkte, dass mir diese Regelmäßigkeit
Schwierigkeiten dieser Art bereitete, dass die Gewohnheit das Laufen zum
Selbstzweck werden ließ, habe ich begonnen mir vor jedem Lauf zu sagen, dass
ich das jetzt für das Leben tue, für den Körper, für meine Atmung, für den
Stoffwechsel, für die Interaktion und den Austausch mit allem Leben eben. Dass ich mich gesund und wohl fühlte, dass
mir das Laufen persönlich guttat, wurde so zu einem angenehmen Nebeneffekt.
Seit ich jetzt wieder Laufen gehe vor allem aber im Vorfeld
als ich mir überlegt hatte wieder laufen zu gehen, habe ich festgestellt, dass
mich die Überlegungen im Bezug auf mein Alter dazu gebracht haben, wieder stark
in den Wettkampf zu gehen, mir etwas beweisen zu wollen. Ich habe kein Problem damit mit mir selbst in
Wettbewerb zu gehen, mich an meinen eigenen Zeiten zu messen, aber durch diese
eingebildete ‚Altersschwäche‘ und die unbearbeitete Angst nicht mehr gut genug
zu sein, mich selbst enttäuschen zu können, habe ich auch angefangen die Zeiten
anderer in meinem Alter zu vergleichen. Und bisher habe ich mich nicht wirklich
ernsthaft mit diesen inneren Konflikten und Ängsten/Befürchtungen auseinandergesetzt,
sondern sie durch das Laufen selbst, durch dieses Erleben der eigenen
Leistungsfähigkeit temporär unterdrückt. Doch ich merke wie dieser Umgang damit
wieder zu den alten Gedankenmustern und Gewohnheitsmustern führt, wie ich
wieder ohne den eigentlichen Grund zu erkennen einen Zwang zum Laufen
entwickelt habe. Heute beispielsweise war seit langem wieder ein schöner zwar
kalter, aber sonniger Tag und ich wäre sehr gerne Laufen gegangen. Die Umstände
haben es aber einfach nicht zugelassen, ich hatte zu viele Verpflichtungen, zu
viel zu tun. Und die gesamte Zeit dieses Tages verfolgte mich der Gedanke an
die verpasste Gelegenheit bei so schönem Wetter zu laufen, ich überlegte in den
absurdesten Zusammenhängen was mir dabei wohl entgangen ist, wie ich mich jetzt
fühlen könnte wenn ich gelaufen wäre, und ob ich vielleicht doch noch,
irgendwann heute Nachmittag oder Abend laufen gehen könnte.
Also worauf ich hinaus will ist, dass Sport immer noch sehr
stark verbunden ist mit dem eingefleischten, konditionierten Einzelkämpfer
Denken besser sein zu wollen, stärker und schneller sein zu müssen als andere, sie
zu überholen, oder zumindest nahe heranzukommen. Dieser Grundgedanke der
gesellschaftlich strukturell die Menschen zu systemkonformen Mitläufern macht,
durch den das System, das in höchstem Maße ungleich, ungerecht und
lebensfeindlich ist am Laufen gehalten wird. Der Gedanke, dessen Gehalt eine
reine Lüge ist, denn es gibt keinen Gewinn durch einzelkämpferische Leistung.
Die Elitepositionen wollen uns diesen Glauben und diese Hoffnung erhalten, aber
dorthin zu gelangen ist keine Frage der Leistung, sonder vorrangig eine der
Geburt, des Geldes und der Beziehungen. Übertragen auf den Sport, für dessen
Spitzenpositionen übrigens dasselbe gilt, bis auf ganz wenige Ausnahmen die
keineswegs repräsentativ sind, würde das einen Wettkampf bedeuten, bei dem die
Startpositionen völlig unterschiedlich gelegt sind und die Teilnehmer völlig unterschiedlich
qualifiziert und ausgestattet.
Doch das Programm arbeitet noch in mir, und zwar weil ich
mich noch nicht effektiv durch die mit diesen Gedanken zusammenhängenden Ängste
und Befürchtungen, die grundlegenden Motivationen und Verdrängungsmechanismen
geatment habe um diese Persönlichkeitspunkte zu dekonstruieren und
Selbstvergebung anzuwenden und mich dann neu, selbstbestimmt und eigenverantwortlich
am Leben, an mir, dem Körper, dem Ausdruck des Lebens auszurichten, als reine
Freude am körperlichen Sein, eins und gleich mit allem Leben, ohne die
Gedanken, die Wertungen, die kulturellen Prägungen und Befürchtungen, die mich
lediglich bremsen und den lebendigen Ausdruck einschränken. Das kann ich mit
Sicherheit aus Erfahrung am Eigenexperiment feststellen, dass diese
Verstrickungen in selbstwertenden Gedanken aufgrund vorprogrammierter Normen
und Idealvorstellungen nur limitierend sind und direkte, körperliche
Konsequenzen haben.
Ich vergebe mir selbst, dass ich es mir erlaubt und es zugelassen
habe, das Laufen, das zunächst ein Ausdruck des Lebens, der Lebensfreude und
der Bewegung des Körpers in der Natur war zu einem gedanklichen System des
imaginären Wettkampfes werden zu lassen, zu einer Gewohnheit die über mein
Selbstwertgefühl die emotionalen Stimmungen beeinflusst hat und das
Gedankensystem der Selbstbewertung und der Messung der Leistung an anderen
Menschen bestärkt hat, ohne dass ich mir über die Ursache und den Grund dieser
Motivationen überhaupt bewusst gewesen wäre, ohne dass ich hinterfragt hätte
warum ich mich selbst einem System der Zwänge und der unangenehmen Bewertungen
unterwerfe, mich selbst zu einem Sklaven der eigens kreierten
Gedankenstrukturen mache, und ohne zu erkennen wie irrational diese Gedanken
und Werturteile sind, dass sie mich von meiner Selbstbestimmung und meinem
lebendigen Ausdruck in jedem Moment abhalten.
Ich bestimme mich
selbst als Mensch und als das Leben, die ursprüngliche Freude am Laufen das
Atmen, die Bewegung des Körpers, den Kreislauf, die heilende Wirkung der
regelmäßigen Betätigung, in der Natur zu sein, andere Wege auszuprobieren, dass
ich all das als Ausdruck des Lebens und als Bewegung des Lebens tun werde, dass
ich meine Gedanken stoppe sobald ich in Zweifel oder in Wettkampf-/Frust-/Überlegenheits-
und Zwangsgedanken gerate, mich zurückbringe zu mir, in den Moment, als das
Leben, atmend und bewusst selbstbestimmt.
Bastian Neumann / Ramstein / Deutschland / 27.03.2013
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