Mittwoch, 27. März 2013

Tag0045 - Laufen, Wettkampf und die Freude am körperlichen Ausdruck





Ich habe zu meiner eigenen Freude seit einigen Wochen wieder mit dem regelmäßigen Laufen angefangen, nachdem ich etwa ein Jahr lang mehr oder weniger pausiert hatte. Das heißt, hin und wieder habe ich lockere Läufe durch den Wald gemacht, habe dann zwei drei Tage später noch einen gemacht und dann wieder für mehrere Wochen nichts. Vor 1 ½ Jahren etwa war ich noch nahezu jeden zweiten Tag mindestens acht bis zehn Kilometer unterwegs. Mir hat das Laufen immer sehr gut getan und das ist auch jetzt wieder der Fall. Ich bin auch sehr überrascht gewesen, wie viel von dem Training noch ‚übrig‘ war sozusagen, vor dem ersten Lauf hatte ich nämlich ehrlich gesagt einige Bedenken und habe erwartet ziemlich enttäuscht zu sein. Doch der Körper ist wahrlich eine erstaunliche Biomaschine mit faszinierenden Fähigkeiten, selbst wenn man ihn eine lange Weile ruhen lässt. Hinzu kommen natürlich noch meine konditionierten und aufgrund der verbreiteten Normen einprogrammierten Bedenken wegen meines Alters. Anfangs hatte ich noch die Gedanken, dass es sich doch für mich eigentlich nicht mehr lohnen würde noch zu laufen und zu trainieren, da ich mit 37 nicht mehr viel Erfolg erwarten könnte und der Aufwand mich eher kaputt machen würde als gesünder oder sportlicher. Natürlich ist das absoluter Blödsinn, wie die meisten gesellschaftlich akzeptierten Dogmen und Normen vor allem im Bezug auf das menschliche Alter. Das lässt sich auch relativ leicht erklären, da wir in einer Gesellschaft leben, in der der Mensch sich hauptsächlich über seine Vorstellungen und Gedanken ‚Unterhält‘ und Definiert, da er die meiste Zeit mit funktionieren, mit vorgefertigten Programmabläufen beschäftigt und von Grund auf eben vorrangig auf körperliche Faulheit ausgelegt ist. Da passt es einfach nicht ins Selbstbild, dass man sich mit über dreißig Jahren noch in solchem Maße bewegt. Ich finde es sowieso immer erstaunlich zu sehen, wie normal es für uns geworden ist, uns so wenig wie möglich zu bewegen. Nicht nur im Alltag, durch Rolltreppen, Autos und alle dem, sondern in den kleinsten alltäglichen Bewegungsabläufen haben wir sogenannte technologische ‚Errungenschaften‘ die uns Bewegungsabläufe abnehmen. Die Fernbedienung zum Beispiel, das automatische Garagentor, die automatischen Fensterladen, und sogar die automatisch schließende Kofferraumklappe, die mich am meisten beeindruckt hat. Und all diese Dinge nennen wir dann fortschrittlich und sehen sie als Luxus. Bequemlichkeit, körperliche Faulheit und Eintönigkeit scheint ein oberstes Prinzip dieses Fortschrittsdenkens zu sein. Außer natürlich es handelt sich um Erwerbsarbeit, irgendeinen unterbezahlten Handwerksjob beispielsweise, Maschinen reinigen, Bauarbeiten, Straßenbauer, Reinigungskraft etc., die sollen sich natürlich bewegen – aber eben nur im Rahmen der ‚sinnvollen‘ und bezahlten Tätigkeit.

Hier geht es mir zunächst um die Erfahrung meiner inneren Programmierungen der Wettkampfgedanken. Ich habe mit etwa dreißig Jahren erst mit dem Laufen angefangen. Davor war ich den Ausdauersportarten gegenüber eher ablehnend eingestellt. Ich möchte hier nicht schon wieder auf den Grund für diese Entscheidung eingehen und nenne daher nur den, dass ich mit dreißig mit dem Rauchen aufgehört habe und ein Gegenbeispiel für die weitverbreitete Annahme geben wollte, man würde zwingend zunehmen, wenn man das Rauchen aufgibt.

Ich hatte mich also zu dieser Zeit unter Aufbringung äußerster Selbstdisziplin nach und nach zu einem ganz passablen hobby-runner gemausert, so dass mir das Laufen sogar richtig Spaß machte, und ich es genießen konnte. Allerdings entwickelte sich die Sache langsam aber sicher zu einer Art Sucht, eine Abhängigkeit die sich vorrangig auf meine Stimmung auswirkte. Ich hatte feste Lauf- und Regenerationszeiten und wenn mir da etwas dazwischen kam und ich beispielsweise mal einen Tag nicht laufen gehen konnte, dann war ich gedanklich ständig damit beschäftigt zu überlegen wann ich das nachholen könnte und dass ich mich jetzt nicht so gut fühlen müsste, weil ich eben nicht laufen war wie geplant. Das war ein schleichender Prozess der mir völlig die Kontrolle und auch die Freude an der Sache genommen  hatte. Ich hatte nur noch die Motivation mir meine Disziplin zu beweisen und die Erfolge wahrzunehmen dadurch dass ich mich körperlich fit und gesund fühlte. Es war gar nicht so sehr die Zeit, die Laufleistung die mir Sorgen machte, sondern das Laufen selbst, die Stunde die ich ganz für mich sein konnte, mit meinem Körper, den Atem und das Herz zu spüren, die Hitze des Körpers, im Wald, auf dem Feld, auf der Straße, wo auch immer.

Als ich dann bemerkte, dass mir diese Regelmäßigkeit Schwierigkeiten dieser Art bereitete, dass die Gewohnheit das Laufen zum Selbstzweck werden ließ, habe ich begonnen mir vor jedem Lauf zu sagen, dass ich das jetzt für das Leben tue, für den Körper, für meine Atmung, für den Stoffwechsel, für die Interaktion und den Austausch mit allem Leben eben.  Dass ich mich gesund und wohl fühlte, dass mir das Laufen persönlich guttat, wurde so zu einem angenehmen Nebeneffekt.

Seit ich jetzt wieder Laufen gehe vor allem aber im Vorfeld als ich mir überlegt hatte wieder laufen zu gehen, habe ich festgestellt, dass mich die Überlegungen im Bezug auf mein Alter dazu gebracht haben, wieder stark in den Wettkampf zu gehen, mir etwas beweisen zu wollen.  Ich habe kein Problem damit mit mir selbst in Wettbewerb zu gehen, mich an meinen eigenen Zeiten zu messen, aber durch diese eingebildete ‚Altersschwäche‘ und die unbearbeitete Angst nicht mehr gut genug zu sein, mich selbst enttäuschen zu können, habe ich auch angefangen die Zeiten anderer in meinem Alter zu vergleichen. Und bisher habe ich mich nicht wirklich ernsthaft mit diesen inneren Konflikten und Ängsten/Befürchtungen auseinandergesetzt, sondern sie durch das Laufen selbst, durch dieses Erleben der eigenen Leistungsfähigkeit temporär unterdrückt. Doch ich merke wie dieser Umgang damit wieder zu den alten Gedankenmustern und Gewohnheitsmustern führt, wie ich wieder ohne den eigentlichen Grund zu erkennen einen Zwang zum Laufen entwickelt habe. Heute beispielsweise war seit langem wieder ein schöner zwar kalter, aber sonniger Tag und ich wäre sehr gerne Laufen gegangen. Die Umstände haben es aber einfach nicht zugelassen, ich hatte zu viele Verpflichtungen, zu viel zu tun. Und die gesamte Zeit dieses Tages verfolgte mich der Gedanke an die verpasste Gelegenheit bei so schönem Wetter zu laufen, ich überlegte in den absurdesten Zusammenhängen was mir dabei wohl entgangen ist, wie ich mich jetzt fühlen könnte wenn ich gelaufen wäre, und ob ich vielleicht doch noch, irgendwann heute Nachmittag oder Abend laufen gehen könnte.

Also worauf ich hinaus will ist, dass Sport immer noch sehr stark verbunden ist mit dem eingefleischten, konditionierten Einzelkämpfer Denken besser sein zu wollen, stärker und schneller sein zu müssen als andere, sie zu überholen, oder zumindest nahe  heranzukommen. Dieser Grundgedanke der gesellschaftlich strukturell die Menschen zu systemkonformen Mitläufern macht, durch den das System, das in höchstem Maße ungleich, ungerecht und lebensfeindlich ist am Laufen gehalten wird. Der Gedanke, dessen Gehalt eine reine Lüge ist, denn es gibt keinen Gewinn durch einzelkämpferische Leistung. Die Elitepositionen wollen uns diesen Glauben und diese Hoffnung erhalten, aber dorthin zu gelangen ist keine Frage der Leistung, sonder vorrangig eine der Geburt, des Geldes und der Beziehungen.  Übertragen auf den Sport, für dessen Spitzenpositionen übrigens dasselbe gilt, bis auf ganz wenige Ausnahmen die keineswegs repräsentativ sind, würde das einen Wettkampf bedeuten, bei dem die Startpositionen völlig unterschiedlich gelegt sind  und die Teilnehmer völlig unterschiedlich qualifiziert und ausgestattet.

Doch das Programm arbeitet noch in mir, und zwar weil ich mich noch nicht effektiv durch die mit diesen Gedanken zusammenhängenden Ängste und Befürchtungen, die grundlegenden Motivationen und Verdrängungsmechanismen geatment habe um diese Persönlichkeitspunkte zu dekonstruieren und Selbstvergebung anzuwenden und mich dann neu, selbstbestimmt und eigenverantwortlich am Leben, an mir, dem Körper, dem Ausdruck des Lebens auszurichten, als reine Freude am körperlichen Sein, eins und gleich mit allem Leben, ohne die Gedanken, die Wertungen, die kulturellen Prägungen und Befürchtungen, die mich lediglich bremsen und den lebendigen Ausdruck einschränken. Das kann ich mit Sicherheit aus Erfahrung am Eigenexperiment feststellen, dass diese Verstrickungen in selbstwertenden Gedanken aufgrund vorprogrammierter Normen und Idealvorstellungen nur limitierend sind und direkte, körperliche Konsequenzen haben.

Ich vergebe mir selbst, dass ich es mir erlaubt und es zugelassen habe, das Laufen, das zunächst ein Ausdruck des Lebens, der Lebensfreude und der Bewegung des Körpers in der Natur war zu einem gedanklichen System des imaginären Wettkampfes werden zu lassen, zu einer Gewohnheit die über mein Selbstwertgefühl die emotionalen Stimmungen beeinflusst hat und das Gedankensystem der Selbstbewertung und der Messung der Leistung an anderen Menschen bestärkt hat, ohne dass ich mir über die Ursache und den Grund dieser Motivationen überhaupt bewusst gewesen wäre, ohne dass ich hinterfragt hätte warum ich mich selbst einem System der Zwänge und der unangenehmen Bewertungen unterwerfe, mich selbst zu einem Sklaven der eigens kreierten Gedankenstrukturen mache, und ohne zu erkennen wie irrational diese Gedanken und Werturteile sind, dass sie mich von meiner Selbstbestimmung und meinem lebendigen Ausdruck in jedem Moment abhalten.

Ich bestimme  mich selbst als Mensch und als das Leben, die ursprüngliche Freude am Laufen das Atmen, die Bewegung des Körpers, den Kreislauf, die heilende Wirkung der regelmäßigen Betätigung, in der Natur zu sein, andere Wege auszuprobieren, dass ich all das als Ausdruck des Lebens und als Bewegung des Lebens tun werde, dass ich meine Gedanken stoppe sobald ich in  Zweifel oder in Wettkampf-/Frust-/Überlegenheits- und Zwangsgedanken gerate, mich zurückbringe zu mir, in den Moment, als das Leben, atmend und bewusst selbstbestimmt.

Bastian Neumann / Ramstein / Deutschland / 27.03.2013





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