Donnerstag, 28. März 2013

Tag0046 - Perfektionistischer Zwang und die Angst dahinter / Teil 1





Was ist der Grund für innere Widerstände wenn es um das Brechen mit Konventionen geht? Warum habe ich ein Problem damit, mich mit einem ungewöhnlichen, auffallenden Verhalten in der Öffentlichkeit zu zeigen? Warum macht es mir etwas aus, eventuellem Spott ausgesetzt zu sein? Warum beschäftigt es mich, was andere von mir denken?

Ich habe eigentlich gedacht, dass ich mich nicht mehr um solche Dinge und Gedanken scheren würde, dass ich frei sei von den Sorgen um das Bild das sich andere von mir machen, ob sie positiv oder negativ von mir denken. Und in meinem Alltagsleben so wie es generell abläuft scheint das auch so zu sein. Ich bin fast nie mit Gedanken darüber beschäftigt, was andere über mich und mein Verhalten vielleicht denken könnten. Dann allerdings, wenn ich etwas ‚außergewöhnliches‘, etwas neues vorhabe, wenn ich etwas neues lerne beispielsweise, dann wage ich es zunächst nicht, mich öffentlich damit zu zeigen, vor allem im Umkreis meiner Nachbarschaft, dort wo ich den Menschen öfter begegne. Als ich vor einigen Jahren zum Beispiel damit angefangen hatte Laufen zu trainieren, habe ich mich lieber dazu gezwungen morgens um vier aufzustehen und wenn möglich noch in der Dunkelheit unterwegs zu sein, um möglichst nicht gesehen zu werden. Dann habe ich zusätzlich mit unterschiedlichen Körpertrainings und Atemtechniken angefangen, wie Qi Gong und Tai Chi, und an manchen Tagen im Sommer habe ich in den Garten geschaut und gedacht wie klasse es wäre, an der frischen Luft in der Morgensonne auf der Wiese meine Übungen zu machen. Aber ich habe es nicht getan, weil die Nachbarn mich dabei hätten sehen können. Jetzt habe ich seit einiger Zeit ein Longboard, und ich übe damit auf abgelegenen Strecken, es macht mir unheimlich Spaß und im Grunde könnte ich auch direkt vor unserem Haus losfahren, aber ich tue es nicht, weil ich Unsicher bin. Ich bin offenbar Unsicher über mein Wirken, über das, was ich repräsentiere und letztlich das, was andere über mich denken könnten, dass ich mich „lächerlich“ machen könnte oder ähnliches. Obwohl ich rein Verstandesmäßig überhaupt nicht reagiere, wenn ich darüber nachdenke ist es mir völlig egal, es ist für mich rein ‚intellektuell‘ überhaupt nicht von Bedeutung was andere über mich denken. Dennoch, wenn es zu tatsächlichen Taten, zur Aktion kommt verspüre ich Hemmungen und verbaue mir das Umsetzen meiner Wünsche.

Natürlich ist es einerseits sehr anmaßend und ein Gedanke aus Selbstüberschätzung davon auszugehen, dass andere Menschen nichts besseres zu tun hätten als gerade mich zu beobachten oder sich die Mühe zu machen überhaupt über mich nachzudenken.  Andererseits ist es natürlich so, dass man im nachbarschaftlichen Zusammenleben und generell in ländlicheren Gegenden durchaus dann und wann „im Gespräch“ ist. Die Frage ist, warum das von Bedeutung sein soll und was tatsächlich die Angst und die Sorge Verursacht, denn das Gerede oder die Gedanken anderer allein können einem ja nichts anhaben.

Es liegt also an mir selbst, wie erwartet und wie immer, um ganz korrekt und konsequent zu sein. Die Probleme die zu meiner freiwilligen Selbstbeschränkung in dem Bereich der persönlich-körperlichen Bewegungsfreiheit führen, müssen in meiner Persönlichkeitsstruktur angelegt und kultiviert worden sein und sie lassen sich eben auch vor allem auf den körperlich-bewegungstechnischen Aspekt meines Ausdrucks und meines Daseins beschränken. Es liegt nahe hier zuerst in der Entwicklungsgeschichte meines Körpergefühls und meines diesbezüglichen  Selbstvertrauens nachzusehen. Und diese war durchaus katastrophal. Ich habe wenige Erinnerungen an meine Kindheit und auch mit meiner frühen Jugend beschäftige ich mich fast überhaupt nicht mehr. Aber wenn ich eines weiß, dann dass ich niemals als sportlich galt und ich mich selbst auch nicht als Bewegungstalent gesehen habe. Zum einen war ich immer schon übergewichtig, und zum anderen habe ich nie den Bezug zu meinem Körper finden können. Ich fand weder in den schulischen Spotunterrichten, noch in den Vereinen eine Anleitung zum Sport die mir mein Körpergefühl irgendwie hätte verbessern können.  Ich hatte zwar gute Anlagen, eine starke Muskulatur und Knochenbau, jedoch konnte ich meine körperliche Kraft nie gezielt oder dosiert genug einsetzen.

Dies hing vor allem  mit meiner eigenen Selbstwahrnehmung, meinem mangelnden Selbstvertrauen und den daraus resultierenden Hemmungen und Ängsten zusammen. Ich sah mich in meinem Geist, meinem Bewusstsein getrennt von meinem Körper als Opfer der aggressiv-beurteilenden Einstellung anderer. Eine Illusion, aber eine Konsequenz einer langjährigen Konditionierung und Prägung. Einerseits spielt für dieses mangelnde Selbstvertrauen und die Unsicherheiten meiner Selbstwahrnehmung, vor allem aber die Ängste über das Bild das andere von mir haben könnten  meine familiäre Situation eine Rolle, in der ich als Scheidungskind zwar durchaus eine schöne Kindheit erleben durfte, allerdings vor allem meinem Vater gegenüber immer in der Not war, ihm gefallen zu wollen, da ich stetig das Gefühl hatte und die Befürchtung verspürte er könne sich von mir abwenden oder ich wäre ihm nicht gut genug, nicht interessant genug. Dann hatte ich den Verzicht auf meine Mutter zu verarbeiten und in dem Familienumfeld in dem ich dann hauptsächlich aufwuchs, meiner Oma, meiner Tante, Onkel und später meinem Cousin, habe ich ebenfalls ein grundlegendes Empfinden gehabt nicht wirklich dazu zu gehören, zwar gemocht zu werden, aber dennoch eine Last zu sein, geduldet aufgrund moralischer Verpflichtung. Ich weiß, dass ich damit wahrscheinlich vor allem meiner Oma unrecht tue, da sie sich aufopfernd und sehr hingebungsvoll um mich bemüht hat, aber im Bewusstsein und Unterbewusstsein eines Kindes werden noch subtilere Zeichen wahrgenommen und auch verarbeitet,  alltägliche, kleine, scheinbar unbedeutende Dinge.

Andererseits ist es die grundlegende Akzeptanz der Gesellschaft, der Menschen, ihre Bewußtseinsentwicklung und Selbstwahrnehmung als eine Ideologie einer abgetrennten, isolierten Existenz im Geist oder im Bildhaften Sinne im Kopf kultiviert zu haben. Die Isolation einer Illusion von sich selbst, die abhängig ist von emotionalen Reaktionen, der Befriedigung der geistig programmierten Erwartungen und der Sinnesbedürfnisse eines virtuellen Vorstellungswesens, einer einBILDung des Selbst. In dieser Verlorenheit in einer Geschichte und der Interpretationsfilter ist man anfällig für unzählige Unwägbarkeiten, Missverständnisse, Fehlentwicklungen und falsche Einschätzungen, vor allem deshalb, weil niemand wirklich fähig, selbstbestimmt und verantwortungsbewusst genug zu sein scheint, um einem heranwachsenden Menschen den Umgang mit der eigenen Bewußtseinsbefähigung beizubringen und ihn anzuleiten.

Aus dieser Verunsicherung hat sich in der – wenn auch späten – Entwicklung meiner Fähigkeiten eine Erwartung hoher Perfektion und großer Ansprüche an mich selbst entwickelt. Aber offenbar nicht nur um mich selbst zu der bestmöglichen Leistung anzuspornen und mein Potential auch sinnvoll und Vernünftig einzusetzen, sondern vor allem um mich auch ‚sehen lassen‘ zu können, also eine von mir selbst projizierte Erwartung anderer, um mich nicht lächerlich zu machen, nicht verspottet zu werden, bzw. vor allem um mich angenommen zu fühlen und gemocht zu werden. Das führt so weit, dass ich mich eher überhaupt nicht betätige, egal um was es sich gerade handelt, als mich diesem Risiko der Ablehnung auszusetzen.

All das findet in meinem Bewußtsein statt, in meiner Gedankenwelt, den emotionalen Verknüpfungen darin, den automatisierten Urteilsprogrammen, ohne dass ich selbst die Bestimmung darüber hätte.


Ich vergebe mir selbst, dass ich es mir erlaubt und es zugelassen habe, dass meine unbewussten und bewussten Ängste und Befürchtungen mein Leben und meine Enscheidungen bestimmen, mich in meinem körperlichen Ausdruck und der Entwicklung meiner Fähigkeiten einschränken, weil ich mich den Programmen der erlernten Minderwertigkeitsgefühle und der eingebildeten Abhängigkeit von Anerkennung und Bestätigung nicht in bedingungsloser Selbstehrlichkeit eigenverantwortlich gestellt habe.

Ich vergebe mir selbst, dass ich es mir erlaubt und es zugelassen habe, aufgrund meiner selbst erlaubten und akzeptierten Blockaden meines Selbstausdrucks mit Frust und schlechter Stimmung zu reagieren und mich anstatt mich selbstbestimmt den Ursachen und meinen inneren Unehrlichkeiten mir selbst gegenüber in allen Punkten der Entwicklung dieser künstlichen Denkmuster zu stellen in selbstmitleidigen Verhaltensmustern mit Schlechter Laune, Trotzigkeit und selbstzerstörerischem Verhalten zu verlieren.

Ich vergebe mir selbst, dass ich es mir erlaubt und es zugelassen habe, aufgrund der unterschwelligen Suche nach Bestätigung und Anerkennung  dermaßen hohe Erwartungen an mich selbst zu stellen, dass ich mir egal in welchem Bereich der körperlichen Betätigung die Freude und den lebendigen Moment der Bewegung, die ursprüngliche Motivation der lebendigen Bewegung als das Selbst verschleiert und verhindert habe, um eine entweder utopische oder in weiter Ferne liegende Perfektion zu erreichen, die mir die Anerkennung anderer sichern könnte.

Ich vergebe mir selbst, dass ich es mir erlaubt und es zugelassen habe zu glauben was andere Menschen von mir denken könnten sei wichtig für mich oder könnte in irgend einer Weise einen Einfluss auf mich haben, da der einzige Einfluss auf mich, schadhaft oder nicht, der durch Gedanken und Worte verursacht werden kann, mein eigener ist.

Selbstbestimmung und Selbstkorrigierendes Schreiben folgen im zweiten Teil.

Bastian Neumann / Ramstein / Deutschland / 28.03.2013




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