Was ist der Grund für innere Widerstände wenn es um das
Brechen mit Konventionen geht? Warum habe ich ein Problem damit, mich mit einem
ungewöhnlichen, auffallenden Verhalten in der Öffentlichkeit zu zeigen? Warum
macht es mir etwas aus, eventuellem Spott ausgesetzt zu sein? Warum beschäftigt
es mich, was andere von mir denken?
Ich habe eigentlich gedacht, dass ich mich nicht mehr um
solche Dinge und Gedanken scheren würde, dass ich frei sei von den Sorgen um
das Bild das sich andere von mir machen, ob sie positiv oder negativ von mir
denken. Und in meinem Alltagsleben so wie es generell abläuft scheint das auch
so zu sein. Ich bin fast nie mit Gedanken darüber beschäftigt, was andere über
mich und mein Verhalten vielleicht denken könnten. Dann allerdings, wenn ich
etwas ‚außergewöhnliches‘, etwas neues vorhabe, wenn ich etwas neues lerne
beispielsweise, dann wage ich es zunächst nicht, mich öffentlich damit zu
zeigen, vor allem im Umkreis meiner Nachbarschaft, dort wo ich den Menschen
öfter begegne. Als ich vor einigen Jahren zum Beispiel damit angefangen hatte
Laufen zu trainieren, habe ich mich lieber dazu gezwungen morgens um vier
aufzustehen und wenn möglich noch in der Dunkelheit unterwegs zu sein, um
möglichst nicht gesehen zu werden. Dann habe ich zusätzlich mit
unterschiedlichen Körpertrainings und Atemtechniken angefangen, wie Qi Gong und
Tai Chi, und an manchen Tagen im Sommer habe ich in den Garten geschaut und
gedacht wie klasse es wäre, an der frischen Luft in der Morgensonne auf der
Wiese meine Übungen zu machen. Aber ich habe es nicht getan, weil die Nachbarn
mich dabei hätten sehen können. Jetzt habe ich seit einiger Zeit ein Longboard,
und ich übe damit auf abgelegenen Strecken, es macht mir unheimlich Spaß und im
Grunde könnte ich auch direkt vor unserem Haus losfahren, aber ich tue es
nicht, weil ich Unsicher bin. Ich bin offenbar Unsicher über mein Wirken, über
das, was ich repräsentiere und letztlich das, was andere über mich denken
könnten, dass ich mich „lächerlich“ machen könnte oder ähnliches. Obwohl ich
rein Verstandesmäßig überhaupt nicht reagiere, wenn ich darüber nachdenke ist
es mir völlig egal, es ist für mich rein ‚intellektuell‘ überhaupt nicht von
Bedeutung was andere über mich denken. Dennoch, wenn es zu tatsächlichen Taten,
zur Aktion kommt verspüre ich Hemmungen und verbaue mir das Umsetzen meiner
Wünsche.
Natürlich ist es einerseits sehr anmaßend und ein Gedanke aus
Selbstüberschätzung davon auszugehen, dass andere Menschen nichts besseres zu
tun hätten als gerade mich zu beobachten oder sich die Mühe zu machen überhaupt
über mich nachzudenken. Andererseits ist
es natürlich so, dass man im nachbarschaftlichen Zusammenleben und generell in
ländlicheren Gegenden durchaus dann und wann „im Gespräch“ ist. Die Frage ist,
warum das von Bedeutung sein soll und was tatsächlich die Angst und die Sorge
Verursacht, denn das Gerede oder die Gedanken anderer allein können einem ja
nichts anhaben.
Es liegt also an mir selbst, wie erwartet und wie immer, um
ganz korrekt und konsequent zu sein. Die Probleme die zu meiner freiwilligen
Selbstbeschränkung in dem Bereich der persönlich-körperlichen Bewegungsfreiheit
führen, müssen in meiner Persönlichkeitsstruktur angelegt und kultiviert worden
sein und sie lassen sich eben auch vor allem auf den
körperlich-bewegungstechnischen Aspekt meines Ausdrucks und meines Daseins
beschränken. Es liegt nahe hier zuerst in der Entwicklungsgeschichte meines
Körpergefühls und meines diesbezüglichen
Selbstvertrauens nachzusehen. Und diese war durchaus katastrophal. Ich
habe wenige Erinnerungen an meine Kindheit und auch mit meiner frühen Jugend
beschäftige ich mich fast überhaupt nicht mehr. Aber wenn ich eines weiß, dann
dass ich niemals als sportlich galt und ich mich selbst auch nicht als
Bewegungstalent gesehen habe. Zum einen war ich immer schon übergewichtig, und
zum anderen habe ich nie den Bezug zu meinem Körper finden können. Ich fand
weder in den schulischen Spotunterrichten, noch in den Vereinen eine Anleitung
zum Sport die mir mein Körpergefühl irgendwie hätte verbessern können. Ich hatte zwar gute Anlagen, eine starke
Muskulatur und Knochenbau, jedoch konnte ich meine körperliche Kraft nie
gezielt oder dosiert genug einsetzen.
Dies hing vor allem
mit meiner eigenen Selbstwahrnehmung, meinem mangelnden Selbstvertrauen
und den daraus resultierenden Hemmungen und Ängsten zusammen. Ich sah mich in
meinem Geist, meinem Bewusstsein getrennt von meinem Körper als Opfer der
aggressiv-beurteilenden Einstellung anderer. Eine Illusion, aber eine Konsequenz
einer langjährigen Konditionierung und Prägung. Einerseits spielt für dieses
mangelnde Selbstvertrauen und die Unsicherheiten meiner Selbstwahrnehmung, vor
allem aber die Ängste über das Bild das andere von mir haben könnten meine familiäre Situation eine Rolle, in der
ich als Scheidungskind zwar durchaus eine schöne Kindheit erleben durfte,
allerdings vor allem meinem Vater gegenüber immer in der Not war, ihm gefallen
zu wollen, da ich stetig das Gefühl hatte und die Befürchtung verspürte er
könne sich von mir abwenden oder ich wäre ihm nicht gut genug, nicht
interessant genug. Dann hatte ich den Verzicht auf meine Mutter zu verarbeiten
und in dem Familienumfeld in dem ich dann hauptsächlich aufwuchs, meiner Oma,
meiner Tante, Onkel und später meinem Cousin, habe ich ebenfalls ein grundlegendes
Empfinden gehabt nicht wirklich dazu zu gehören, zwar gemocht zu werden, aber
dennoch eine Last zu sein, geduldet aufgrund moralischer Verpflichtung. Ich
weiß, dass ich damit wahrscheinlich vor allem meiner Oma unrecht tue, da sie sich
aufopfernd und sehr hingebungsvoll um mich bemüht hat, aber im Bewusstsein und Unterbewusstsein
eines Kindes werden noch subtilere Zeichen wahrgenommen und auch verarbeitet, alltägliche, kleine, scheinbar unbedeutende
Dinge.
Andererseits ist es die grundlegende Akzeptanz der
Gesellschaft, der Menschen, ihre Bewußtseinsentwicklung und Selbstwahrnehmung
als eine Ideologie einer abgetrennten, isolierten Existenz im Geist oder im
Bildhaften Sinne im Kopf kultiviert zu haben. Die Isolation einer
Illusion von sich selbst, die abhängig ist von emotionalen Reaktionen, der
Befriedigung der geistig programmierten Erwartungen und der Sinnesbedürfnisse eines
virtuellen Vorstellungswesens, einer einBILDung des Selbst. In dieser
Verlorenheit in einer Geschichte und der Interpretationsfilter ist man anfällig
für unzählige Unwägbarkeiten, Missverständnisse, Fehlentwicklungen und falsche Einschätzungen,
vor allem deshalb, weil niemand wirklich fähig, selbstbestimmt und verantwortungsbewusst
genug zu sein scheint, um einem heranwachsenden Menschen den Umgang mit der
eigenen Bewußtseinsbefähigung beizubringen und ihn anzuleiten.
Aus dieser Verunsicherung hat sich in der – wenn auch späten
– Entwicklung meiner Fähigkeiten eine Erwartung hoher Perfektion und großer
Ansprüche an mich selbst entwickelt. Aber offenbar nicht nur um mich selbst zu
der bestmöglichen Leistung anzuspornen und mein Potential auch sinnvoll und
Vernünftig einzusetzen, sondern vor allem um mich auch ‚sehen lassen‘ zu
können, also eine von mir selbst projizierte Erwartung anderer, um mich nicht
lächerlich zu machen, nicht verspottet zu werden, bzw. vor allem um mich angenommen
zu fühlen und gemocht zu werden. Das führt so weit, dass ich mich eher
überhaupt nicht betätige, egal um was es sich gerade handelt, als mich diesem
Risiko der Ablehnung auszusetzen.
All das findet in meinem Bewußtsein statt, in meiner
Gedankenwelt, den emotionalen Verknüpfungen darin, den automatisierten
Urteilsprogrammen, ohne dass ich selbst die Bestimmung darüber hätte.
Ich vergebe mir selbst, dass ich es mir erlaubt und es
zugelassen habe, dass meine unbewussten und bewussten Ängste und Befürchtungen
mein Leben und meine Enscheidungen bestimmen, mich in meinem körperlichen
Ausdruck und der Entwicklung meiner Fähigkeiten einschränken, weil ich mich den
Programmen der erlernten Minderwertigkeitsgefühle und der eingebildeten
Abhängigkeit von Anerkennung und Bestätigung nicht in bedingungsloser
Selbstehrlichkeit eigenverantwortlich gestellt habe.
Ich vergebe mir selbst, dass ich es mir erlaubt und es
zugelassen habe, aufgrund meiner selbst erlaubten und akzeptierten Blockaden
meines Selbstausdrucks mit Frust und schlechter Stimmung zu reagieren und mich
anstatt mich selbstbestimmt den Ursachen und meinen inneren Unehrlichkeiten mir
selbst gegenüber in allen Punkten der Entwicklung dieser künstlichen Denkmuster
zu stellen in selbstmitleidigen Verhaltensmustern mit Schlechter Laune,
Trotzigkeit und selbstzerstörerischem Verhalten zu verlieren.
Ich vergebe mir selbst, dass ich es mir erlaubt und es
zugelassen habe, aufgrund der unterschwelligen Suche nach Bestätigung und
Anerkennung dermaßen hohe Erwartungen an
mich selbst zu stellen, dass ich mir egal in welchem Bereich der körperlichen
Betätigung die Freude und den lebendigen Moment der Bewegung, die ursprüngliche
Motivation der lebendigen Bewegung als das Selbst verschleiert und verhindert
habe, um eine entweder utopische oder in weiter Ferne liegende Perfektion zu
erreichen, die mir die Anerkennung anderer sichern könnte.
Ich vergebe mir selbst, dass ich es mir erlaubt und es
zugelassen habe zu glauben was andere Menschen von mir denken könnten sei
wichtig für mich oder könnte in irgend einer Weise einen Einfluss auf mich
haben, da der einzige Einfluss auf mich, schadhaft oder nicht, der durch
Gedanken und Worte verursacht werden kann, mein eigener ist.
Selbstbestimmung und Selbstkorrigierendes Schreiben folgen
im zweiten Teil.
Bastian Neumann / Ramstein / Deutschland / 28.03.2013
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